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„Revolutionäre Ästhetik“ in Dahlem

■ Studenten und Sympathisanten haben am Mittoch eine leerstehende FU-Villa in Dahlem besetzt / Vizepräsident will mit den Besetzern verhandeln

Im Anschluß an eine Wohnungsnot-Vollversammlung von Studenten der FU haben am Mittwoch abend rund 100 Leute eine kleine Villa in der Brümmerstraße 52 in Dahlem besetzt. Das zweistöckige Haus gehört der FU. Bis zum Frühjahr war hier eine Zweigstelle des Fachbereichs für Ethnologie untergebracht. Nach Angaben von FU-Vizepräsident Hellmuth Bütow stand das Gebäude leer, weil es seit August renoviert wurde und anschließend zur Entlastung anderer universitärer Einrichtungen genutzt werden sollte.

Gestern nachmittag traf die Reporterin der taz in der Villa rund 20 Leute an. Einige hockten auf der Hintertreppe zum Garten in der Herbstsonne und tranken Kaffee. Auf Nachfrage erklärte eine lederbejackte junge Frau barsch, „ist doch scheißegal, ob wir Studenten sind oder aus der Stadt kommen“. Weitere Auskünfte wurden der „Scheiß taz„-Frau nicht zuteil (Arschgeigen! d. säzzer), vielmehr wurde sie des Grundstücks verwiesen.

Aus einem Flugblatt geht hervor, daß das Haus „als Anlaufstelle für Menschen, die ne Wohung suchen und hier schlafen wollen, und zur Durchführung von Koordinierung wohnungspolitischer Aktivitäten nicht nur an der Uni“ genutzt werden soll: „Hier ist es allemal schöner als in Turnhallen und billiger.“ Anderes verkünden manche der Parolen in den frischrenovierten Räumen und an der Fassade des Hauses. „Den Widerstand organisieren“ oder „die Rote Armee ausbauen“. Auf der Fahrbahn vor dem Grundstück ist in großen Lettern zu lesen „Besetzt, wir gehen nicht in eure Betonsilos“, und auch der Bürgersteig hat ein paar weiße Farbkleckse abbekommen.

Nicht die Besetzung an sich, sondern die Bemalaktion war es dann auch, die beim Vizepräsidenten Bütow auf großes Mißfallen stieß. Die Besetzung will Bütow „tolerieren“, und er hat deshalb auch die Polizei zurückgepfiffen. Bütow will „nach einer sozialen Lösung suchen“. Aufgrund der katastrophalen Wohnungssituation hat er vollstes Verständnis für das Anliegen der jungen Leute und forderte sie deshalb gestern morgen auf, bis zum kommenden Montag ihr Konzept für die Nutzung der Villa vorzulegen. Die Parolen in und vor der Villa hält der Vizepräsident hingegen für eine „sehr elitäre“ Propagandavorstellung. „Wenn man die Politiker dazu bringen will, die Wohnungsnot zu bereinigen, braucht man Unterstützung. Die kriegt man aber nicht, wenn außen nur Farbe und Dreck sichtbar ist“, sagte Bütow. Das habe er gestern morgen versucht, den Besetzern zu verklickern, indem er mit ihnen ein langes Gespräch über „revolutionäre Ästhetik“ geführt habe. Während die Besetzung gestern von allen Studenten, die am Haus vorbei zur Uni eilten, begrüßt wurde, gaben dem Vizepräsidenten zumindest mehrere Anwohner der Brümmerstraße recht.

plu

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