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Kuscheltiere

■ Mary Gaitskills Kurzgeschichten „Schlechter Umgang“

Ich will eine Katastrophe sein.“ Diese eher hilflos als selbstbewußt hervorgebrachte Selbsterklärung der ausgeflippten ehemaligen Freundin Leisha, an die sich die 35jährige Susan bei ihrer Stippvisite des brodelnden Manhattan erinnert, bringt es auf den Punkt. Sie kann als das durchgehende Programm sämtlicher Stories in dem Kurzgeschichtenband der Amerikanerin Mary Gaitskill bezeichnet werden. Allerdings geht es dabei weniger um Inszenierungen pessimistischer Selbstaufgabe denn ums unverbesserliche Trotzdem. Alle ihre Figuren müssen mit der Katastrophe des (Über-)Lebens in einem vom City-life dominierten Amerika fertigwerden, in dem der große amerikanische Traum vom Glück für jedermann längst ausgeträumt ist.

„Sie wollte Leisha gegenüber loyal bleiben, aber da sie sich vollkommen hilflos mit sich selbst abmühte, waren sie in ihren Gesprächen wie Ertrinkende, die sich im Kampf ums Überleben aneinanderklammern.“ Während Susan seit langem mal wieder einige Tage in New York, ihrer alten Heimat, verbringt und durch die Stadt wandert, fragt sie sich, was aus der labilen Leisha geworden ist. Ihre melancholischen Reminiszenzen an die gemeinsame Zeit finden ein jähes Ende, als sie in der Stadtstreichergestalt um die Ecke, in einer Bag-lady, für einen Moment lang ihre Freundin zu erkennen glaubt: „Ein plötzliches Gefühl von Entsetzen in der Magengrube ließ Susan unwillkürlich umdrehen.“ Normalität und Unglück liegen bei Gaitskill eben wie die Slumviertel und der Broadway nur ein paar Fußschritte voneinander entfernt. Sie, die selber mit 16 in einer Nervenklinik gelandet ist und sich eine Zeitlang als Stripteasetänzerin, Model oder Sektretärin durchschlug, muß wohl wissen, wovon sie schreibt.

In einer lakonisch-knappen und teilweise ans Surrealistische grenzenden Beschreibung von Wohnungen, Begegnungen auf der Straße und hoffnungslos verkorksten „Beziehungskisten“ präsentieren Gaitskills Alltagsgeschichten den immer wieder neuen Versuch, Nähe und Geborgenheit beim anderen zu finden - quer durch das ganze soziale Spektrum Amerikas. Von teilzeitjobbenden Drogensüchtigen bis zur gutbürgerlichen liberalen Durchschnittsfamilie, deren Kinder sich beruflich oder in der Ehe unglücklich machen. Und dennoch: Es geht unablässig um die noch verbleibenden Möglichkeiten von Liebe, und dies oft sehr verzweifelt.

Was für ein Unterschied eröffnet sich da zu Tama Janowitz‘ bemüht morbider Welt ihrer so hochgejubelten Anekdoten über die New Yorker „Großstadtsklaven“ des Greenwich Village. Etwa, nachdem man in Ein romantisches Wochenende wirklich „hautnah“ erleben kann, wie das erste längere Rendezvous eines frischverliebten Paares an unvereinbaren Hoffnungen und bizarren erotischen Gelüsten krankt: „Sie würde Narben fürs Leben davontragen.“ Ein Mann und eine aus Nervosität mit Amphetaminen aufgeputschte Frau sind verabredet, um in ein schönes Wochenende nach Washington zu fliegen. Ganz einfach und doch so schwer, weil sie eben hinter ihren masochistischen Begierden doch nur romantische Klischees verbirgt, er aber einzig sadistische Lust sucht: „...und dann würden sie in ihre Wohnung gehen. Er würde sie schlagen und in den Mund ficken.“

Statt sie direkt zu begrüßen, versteckt er sich am ausgemachten Treffpunkt, beobachtet und wartet in sicherer Distanz. An die Schnitt technik des Films erinnernd, wechselt die Perspektive zwischen den ängstlichen Gedanken Beths und dem kühlen Blick ihres Partners und gefriert zum szenischen Standbild: „Auf dem Höhepunkt ihrer Angst entdeckte sie ihn hinter der Glaswand der Pizzabude. Sofort bemerkte sie den boshaften Ausdruck auf seinem Gesicht. Sie erkannte, welche kalte Geringschätzigkeit darin lag. (...) Sie litt, aber nur einen kurzen Augenblick; dann wurde sie von der Liebe fortgetragen.“

Gaitskill gelingt es, schlechte Sentimentalität zu vermeiden, da ihre Erzählungen mehr sind als nur ein weiterer Beitrag zum sattsam bekannten Szenario der inzwischen in die spätmodernen achtziger Jahre vorgerückten Verkrüppelungen menschlicher Intimität. Selbst wenn die Personenporträts oft so entmutigend ausfallen wie das des Teenagers Lily: die aussieht „wie so ein Ding, das unter einem Stein hervorgekrochen ist“, wird dennoch hemmungslos gelebt.

So zum Beispiel in der Familienepisode Paradies, einer Geschichte über eine ganz normale Familie: Seitdem Virginia und Harold mit ihren mittlerweile erwachsenen vier Kindern von Floirda, dem Paradies, weggezogen sind und in der Nähe von New York leben, geht eigentlich alles nur noch schief. Zwischen ihnen beiden und auch in den jungen Ehen der Töchter, ganz zu schweigen von dem wegen Trunkenheit tödlich verunglückten Lieblingssohn: „Virginia und Harold wurden sehr still zusammen. Sie sahen sich nach wie vor Spätfilme an, kuschelten sich dabei aber kaum noch aneinander. (...) Sie wußte, daß er seine Kinder für Versager hielt.“ Gaitskill greift den für die amerikanische Literatur so typischen Kontrast zwischen dem heilen Garten, hier eben Florida, und der korrupten Zivilisation auf, um ihn gleichsam gegen den Strich zu verwenden. Erst der aller idyllischen Illusionen beraubten Familie erlaubt die Autorin, sich „wie in alten Zeiten“ im hauseigenen Garten zu einem Grillabend zu treffen und - ohne schwülstigen Kitsch ein Stück Frieden zu finden: „Ein leichter Wind wehte ihnen Haare ins Gesicht, die Bäume rauschten leise, und das Surren der Insekten erfüllte die Luft. (...) Sie schwiegen für ein paar Minuten.“ Damit endet das Buch. Ein versöhnlicher Ausklang.

Bernd Rasche

Mary Gaitskill: Schlechter Umgang. Stories. Reinbek 1989, Rowohlt, 217 Seiten, 9,80 DM

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