: Sprecht die China- Protestler frei!
■ Am Dienstag stehen zwei Ostberliner wegen „Zusammenrottung“ und „Rädelsführerschaft“ vor Gericht
Berlin (taz) - Für DDR-Flüchtlinge und DemonstranInnen hat der Staatsrat gestern eine Amnestie beschlossen. Werden auch die beiden Ostberliner davon profitieren, die sich am kommenden Dienstag vor dem Kreisgericht Pankow wegen eines Flugblattes „gegen den Massenmord in Peking“ zu verantworten haben? Ihnen wird Organisation und Beteiligung an einer „Zusammenrottung“ vorgeworfen.
Nach dem Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens am 3./4.Juni solidarisierte sich die DDR-Führung mit den chinesischen Machthabern. „Volksbefreiungsarmee Chinas schlug konterrevolutionären Aufruhr nieder“, titelte das 'Neue Deutschland‘ ('ND‘) am 5.Juni. Die FDJ-Zeitung 'Junge Welt‘ hetzte einen Tag später gegen diejenigen, „die zum Aufruhr gegen die Kommunistische Partei“ angetreten seien. Beim Lesen dieser Artikel kam den beiden Freunden Torsten Röder (21) und Henrik Schulz (18) die Galle hoch. Sie gingen mit einem fertigen Linolschnitt zu einem Freund, fragten ihn, ob sie seine alte Wäschemangel als Druckpresse benutzen dürften. „Det jeht nich mehr, der Kanal ist voll“, begründeten die beiden ihre Absicht, mit Flugblättern zu einer Demo am 9.Juni aufzurufen (s. Faksimile).
Sie kurbelten die Rollen der Wäschemangel - am Ende waren es 99 Abzüge. Das DIN-A4-Blatt verteilten die beiden an Bekannte und in Jugendklubs, wohl unterstützt von einem weiteren Freund, dessen Prozeßtermin noch nicht feststeht. Zur Demo erschienen etwa 500 Polizisten und 27 Demonstranten. Alle wurden festgenommen. Während der Nacht im Stasi-Gefängnis Magdalenenstraße nahmen die Beamten Fingerabdrücke und verglichen diese mit den Fingerabdrücken auf beschlagnahmten Flugblättern.
Am 13.Juli wurden Röder und Schulz verhaftet. Genau drei Monate saßen sie im Gefängnis Pankow in Einzelhaft. Am Morgen des 13.Oktober standen sie wieder auf der Straße. Während Torsten Röder wegen „Beteiligung an einer Zusammenrottung“ mit einer Bewährungs- oder Geldstrafe rechnen könnte, steht auf die Henrik Schulz unterstellte „Rädelsführerschaft“ mindestens ein Jahr, maximal acht Jahre Gefängnis.
Petra Bornhöft
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