piwik no script img

PRIMA LEBEN UNTERM STIEFEL

Montagsexperten kommen zu Wort: Jochen Rindt  ■ Ü B E R L E B E N S B Ö R S E ‘ 8 9

Am schönsten sind die gesellschaftlichen Umwälzungen, die man nicht selber machen muß, und die den politischen Gegner treffen. Dann ist guter Rat billig und wird unangefochten zugestellt. Zur Zeit hat jeder Unternehmer oder Politiker oder was es sonst an unangenehmen Zeitgenossen geben mag, eine Meinung zu Osteuropa, speziell zur DDR. Freiheit, rufen sie über die Mauer, Demokratie, und kichern sich hinter vorgehaltener Hand freie Marktwirtschaft zu. Denn Plaste und Elaste wird erst schön, wenn sie zur BASF gehören. Man sieht: Für den Schaden braucht niemand zu sorgen, der den Spott schon hat. Dabei qualifiziert diese Spötter der Macht nur das eine - daß sie die gewitzteren Halsabschneider und Mordbrenner vor dem Herrn sind.

Aber nicht nur die großen, sondern auch die kleinen Hasardeure der veröffentlichten Meinung wollen etwas Licht von den Reformen, an denen sich andere im Falle eines Falles die Finger verbrennen. Ewig unvergeßlich wird das hier schon erwähnte Diepgensche Diktum aus der Klassikerschatzkiste: „Geben Sie Gedankenfreiheit, Sire“ in Richtung Honnecker, jetzt Krenz, bleiben. Seitdem wird Eberhard D. auch der Leerstellen-Garibaldi geheißen. Übertroffen wurde er bisher nur vom Medienschnippler Julius Hackethal, der an Honnecker eine notwendige Krebsoperation durchführen wollte, im Gegenzug von ihm aber die bürgerlichen Rechte für DDR-Bürger einforderte. Wahrscheinlich hat Hackethal bei der Gedankenarbeit zu diesem großen historischen Entwurf die Vorstellung gehabt, daß es in der DDR immer noch Medizinmänner und Regenmacher gibt.

Nicht nur die Helden der Regenbogenpresse und des Kurzstreckengedankens haben etwas zu sagen. So entnahm ich der 'FAZ‘ vom 26.10.89 folgende taktische Überlegung: Eppler berichtete von Erlebnissen auf dem Leipziger Kirchentag. Junge Linke hätten ihm dort versichert, die DDR verändern zu wollen. Wenn dies aber scheitere, werde die Frage der Wiedervereinigung aktuell. Diese Frage werde nicht in der Bundesrepublik, sondern in der DDR entschieden.“ Ja, was soll das denn heißen: Reformen oder Wiedervereinigung? Ist das eine Drohung? Will Eppler friedenstaubenmäßig in die DDR einfliegen und das Grundgesetz abwerfen, wenn eine kirchliche Oppositionsgruppe um Hilfe ruft? Afghanistan positiv, sozusagen?

Nämlicher Artikel endet übrigens mit einem schönen, unzweifelhaft zweideutigen Satz von Otto Schily: „Die Deutschen können umso deutscher sein, je europäischer sie sind“. Ob er dabei an Königsberg gedacht hat?

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen