: Klassenziel nicht erreicht
■ Zum Ende des 16.Gewerkschaftstags der IG Metall
Der 16.ordentliche Gewerkschaftstag der IG Metall blieb unvollendet. Es muß noch eine Fortsetzung kommen, und dies bezieht sich nicht nur auf die nicht vollständig bewältigte Tagesordnung. Die Industriegewerkschaft ist auch in ihrem Veränderungs- und Modernisierungsprozeß noch nicht ans Ziel gekommen. Eher drängte sich der Eindruck auf, als drohe sie auch hier auf halbem Wege steckenzubleiben, verstrickt in die Widersprüche einer Veränderungsstrategie hin zu mehr Offenheit, Diskussionsfreudigkeit und innerorganisatorischer Demokratie, die von oben betreibt, was eigentlich nur von unten ausgefüllt werden kann, und deren Instrumente in einem inneren Widerspruch stehen zu ihren Inhalten.
Steinkühler, der sich als Gorbatschow der IG Metall versucht, ist trotz des überzeugenden Ergebnisses bei seiner Wiederwahl aus dem Gewerkschaftstag nicht ungeschoren hervorgegangen. Die Basis sträubt sich gegen seinen ungeduldigen, oft autoritären Führungsstil, mit dem er das Neue durchzudrücken versucht. Die Basis, das wurde auf dem Kongreß deutlich, will sich von ihrem Vorsitzenden auch dann nicht überfahren lassen, wenn er in die richtige Richtung steuert. Der Veränderungsprozeß zu mehr Demokratie, Offenheit, Toleranz und Modernität erfordert nicht nur Durchsetzungsfähigkeit, sondern auch Geduld. All dies kann nicht nur das Ziel, es muß auch der Weg sein, wenn es innerhalb einer Massenorganisation von fast 2,7 Millionen Mitgliedern lebendig werden soll. Und in Kauf genommen werden muß auch, daß dabei ebenso jene eine Stimme haben, die lieber beim alten bleiben wollen.
Das Inhaltliche, die Formulierung positiver politischer Ziele in der Antragsberatung, konnte nicht zu Ende gebracht werden. Auch dies hat Symbolwert in einer Organisation, die im nächsten Jahr vor einer schweren Tarifauseinandersetzung steht und jetzt noch nicht genau weiß, welche Ziele sie danach ansteuern soll. Zwar ist es in der IGM unbestritten, daß die Politik der Arbeitszeitverkürzung mit Erreichen der 35-Stunden-Woche nicht zu Ende sein kann. Aber in welcher Ausprägung, mit welcher Intensität und Priorität sie weitergetrieben werden soll, ist unklar. Gegen starke Widerstände unter den Delegierten setzte Steinkühler eine Denkpause durch, bevor beispielsweise die allgemeine Arbeitszeitverkürzung auf 30 Wochenstunden zum nächsten verbindlichen Etappenziel erhoben wird. Jetzt gilt es erst einmal, die 35 zu erkämpfen. Der Gewerkschaftstag hat dafür den Auftakt gegeben.
Martin Kempe
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