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Lesen und Schreiben

■ „Legasthenische Kinder sind weder dumm noch faul!“

Lesen und Schreiben sind elementare Kulturtechniken, auf denen nicht nur unser Bildungssystem aufbaut. Von ihrer Beherrschung hängt die Realisierung von Berufschancen und die aktive Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ab. Für eine Industrienation ist es beschämend, wenn nach einer Schätzung der UNESCO bis zu 3 Prozent der erwachsenen Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland nicht ausreichend lesen und schreiben können.

Längere Krankheit oder häufiger Ortswechsel in den ersten vier Schuljahren können die Ursache gewesen sein, aber auch ein Seh- oder Hörfehler. In den Hauptsachen handelt es sich jedoch um sogenannte Legastheniker, deren Lese -Rechtschreibschwäche (LRS) entweder nicht erkannt oder nur unzureichend behandelt worden ist.

Legasthene Kinder schreiben über längeren Zeitraum trotz schulischen und häuslichen Übens ungewöhnlich viele Wörter falsch. Sie können optisch sich ähnelnde Buchstaben, wie m, n und w oder b'd und p, nicht auseinanderhalten. Sie verwechseln ähnlich klingende Laute, wie g und k oder f und w. Sie vertauschen Buchstaben, schreiben „tergt“ statt „trägt“ - oder bringen nur Bruchstücke eines Wortes oder völlig Unlesbares zu Papier. Dehnungen und Doppelungen werden willkürlich angewandt („Bonnen“ statt „Bohnen“ und „Stiehle“ statt „Stille“). Beim Lesen bereitet ihnen die Umsetzung der Buchstaben in Laute und die Zusammenlesung zum Wort besondere Schwierigkeiten. Aussprache und Betonung der Wörter sind fehlerhaft und undeutlich. Teils werden Silben ausgelassen, teils neue hinzugefügt, mitunter vollständige Sätze phantasiert. Die Mühe, die beim Lesen aufgewendet werden muß, verhindert das Verstehen des gelesenen Textes.

Legasthene Kinder sind, auch wenn es manchmal so aussieht, weder dumm noch faul. Viele zeigen im Rechen- und Sachkundeunterricht, daß sie durchaus in der Lage sind, Zusammenhänge logisch zu erfassen. Auch der Umgang, den lese -rechtschreibschwache Kinder mit ihren Schwierigkeiten normalerweise pflegen, die Strategien, mit denen die ihre Lese-Rechtschreibschwäche zu kompensieren versuchen, sind ein anschaulicher Beleg dafür, daß Legasthenie keineswegs einer allgemeinen Minderbegabung entspringt. So gibt es Kinder, die ihre Lehrer dadurch verblüffen, daß sie fließend „vorlesen“ und dabei das Lesebuch verkehrt herum in der Hand halten.

Nicht selten werden die Lese- und Rechtschreibprobleme als Anfangsschwierigkeiten oder Entwicklungsverzögerung („Spätentwickler“) abgetan, welche sich mit der Zeit von selbst geben werden. So verstreichen nicht nur ungenutzte sensible Phasen („Schlüsseljahre“) in der Entwicklung des Kindes. Es bilden sich in dieser Zeit auch vermehrt psychische Abwehrreaktionen, die das Selbstwertgefühl und die Lernmotivation zusätzlich schädigen.

Angesichts der Häufigkeit einschlägiger Problemfälle - man geht inzwischen davon aus, daß 3 bis maximal 10 Prozent eines Erstklässler-Jahrgangs betroffen sind - muß der Früherkennung einer Legasthenie mehr Aufmerksamkeit zukommen. Je früher eine Lese-Rechtschreibschwäche diagnostiziert wird, desto wirksamer kann ihr begegnet werden. Institut für Legastheniker-Therapie und Deutsche

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