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Das Rastatter Dioxin-Lehrstück

Jahrelang wurden Anwohner einer Metallhütte mit Schadstoffen belastet / Behörden verschleppten Sanierungsmaßnahmen, bis jetzt das ganze Ausmaß der Verseuchung ans Licht kam / Ein Untersuchungsausschuß im Landtag soll die Verantwortlichkeiten klären  ■  Aus Rastatt Erwin Single

Im Wohngebiet „Beinle“ am Rande des Rastatter Industriegebiets geht die Angst um. Der Grund: Gleich nebenan steht die „Dioxinschleuder“, das stillgelegte Werksgelände der Metallhütte Karl Fahlbusch. Seit in der vergangenen Woche herauskam, daß bei Staubproben aus den Gebäuden Dioxinwerte von bis zu 108.400 Nanogramm pro Kilogramm gemessen wurden, sind die Anwohner in heller Aufregung. Eltern verbieten ihren Kindern, draußen zu spielen, die Fenster bleiben zu. Geradezu gespenstisch geht es auf dem Firmengelände selbst zu. Etwa zehn Arbeiter eines Stuttgarter Spezialunternehmens kratzen in Schutzanzügen festgetretene Dreckschichten von den Böden und kehren sie sorgfältig zusammen. Alles ist mit Plastikfolien zugedeckt, das Areal abgeriegelt.

Jahrelang konnte der Betrieb seinen Dreck weitgehend unbehelligt an die Umgebung abgeben. Giftige Schwermetalle und Dioxin verteilten sich schleichend auf den Grundstücken der Nachbarn. Die Anwohner kannten die Gefahr und kämpften immer wieder vergebens gegen sie an. Ein „Skandal“ sei das, meint die 85jährige Maria Löffler, die gleich neben der Werkseinfahrt wohnt. „Jeder von uns hat es gewußt“, sagt sie, „obwohl wir jahrelang nicht aufgeklärt wurden.“ Einmal sei sogar im Frühjahr Laub von den Bäumen gefallen, woraufhin Sachverständige Untersuchungen angestellt hätten. Geschehen ist nichts. „Viele haben die Sache aber auch einfach verdrängt und sind erst jetzt aufgewacht“, glaubt Gudrun Eisenhauer, Vorsitzende der bereits 1981 gegründeten „Bürgeraktion gegen die Metallhütte Fahlbusch e.V.“ Zig mal hatten die über 50 Mitglieder Initiativen gestartet, Beschwerden eingereicht und Prozesse geführt - ohne durchschlagenden Erfolg. Schwere Vorwürfe richtete die Bürgeraktion gegen die zuständigen Behörden. Als beispielsweise bereits Anfang der siebziger Jahre ständig ungefilterte Rauchgase abgeblasen wurden, klagten viele über Bronchitis. Doch der Prozeß, den die BürgerInnen vor dem Rastatter Amtsgericht anzettelten, endete mit einer Niederlage. „Alle Versäumnisse der Behörden kann man gar nicht aufzählen“, klagt Gudrun Eisenhauer. „Dabei wurden bei Fahlbusch Kabelreste sogar unter freiem Himmel abgebrannt“, erzählt Hans-Jürgen Kobus, einer der damaligen Aktivistiven gegen das Unternehmen.

Doch alle Anläufe der Bürgeraktion endeten nach demselben Muster: Die Anwohner beklagten sich über die Umweltbelastungen bei der Stadtverwaltung, dem Gewerbeaufsichtsamt, dem Landratsamt, dem Regierungspräsidium und dem damals noch zuständigen Landwirtschaftsministerium. Die Bürokraten schickten Prüfer und Gutachter, die aber den Verursacher anscheinend nie ausfindig machen konnten. Fahlbusch durfte, zwar mit Auflagen, stets weiterproduzieren.

Als 1984, kurz vor der Kommunalwahl, die Schwermetallbelastung offiziell bekannt wurde, gab es einschränkende Anbauempfehlungen für die Gärten der Siedlung am Murgufer. Daß zum ersten Mal auch Dioxin-Rückstände in Filterstäuben gefunden wurden, erfuhren die Hobbygärtner nicht. Dabei hatte im selben Jahr die Bürgeraktion die Behörden darauf hingewiesen, daß bei den Verschwelungsprozessen bei Fahlbusch eigentlich Dioxin entstehen müsse und um Überprüfung gebeten. Die Überprüfung kam, aber die Ergebnisse blieben bis 1987 beim Gewerbeaufsichtsamt unter Verschluß: Erst als das ganze Ausmaß der Verseuchung scheibchenweise öffentlich wurde, gab man die früheren Erkenntnisse preis.

Im Herbst 86 schließlich machte die Firma dicht. Ob aus wirtschaflichen Gründen oder wegen der angeblich weitreichenden Umweltauflagen, mit denen der Betrieb überzogen worden sein soll, läßt sich nicht klären. Als Sanierungsmaßnahme habe das Unternehmen damals das Gelände mit einer Kehrmaschine gereinigt und anschließend mit Wasser abgespritzt, verlautbarte das Stuttgarter Umweltministerium treuherzig. Das Dioxin jedoch blieb. Bodenproben bestätigten die Befürchtungen der Anwohner: Die Messungen ergaben bis zu 6.500 Nanogramm Dioxin pro Kilogramm. Umwelt- und Sozialministerium versprachen daraufhin im Frühjahr 88, den Boden teilweise abzutragen und auszutauschen. Geschehen ist bis heute nichts. Nun sind die angekündigten Maßnahmen erstmal ausgesetzt, bis über ein neues Sanierungskonzept entschieden ist.

Die Arbeiter in ihren weißen Schutzanzügen sind einstweilen nur für „Sofortmaßnahmen zur Gefahrenabwehr“ zuständig. Alle Flächen sollen von Staub gereinigt und die Gebäude staubdicht verschlossen werden. Wie es dann weitergeht, weiß noch niemand. Die Verantwortung für jahrelange Halbherzigkeiten wird unterdessen hin und her geschoben. Eugen Mockert, erster Bürgermeister Rastatts, nennt die Situation für die Kommune „unbefriedigend“. Aber federführend in der Geschichte seien nunmal Umweltministerium und Regierungspräsidium. Umweltminister Erwin Vetter hat inzwischen Verzögerungen öffentlich eingestanden und bedauernd auf das rechtliche Neuland verwiesen, mit dem man es tun habe. Ob er und andere sich Versäumnisse haben zuschuldenkommen lassen, soll ein Dioxin -Untersuchungsausschuß im Stuttgarter Landtag klären. Es gibt viel zu tun.

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