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Freiheit für die "Puten"-Kids

■ Landgericht entschied gegen Anwohner, daß Neuköllner Kita-Kinder im Freien spielen (und lärmen) dürfen - und beendete zehn Monate Hausarrest

Aus „Beeinträchtigungen wurden wieder Kinder. Nach zehn Monaten richterlichen Ausgangsverbots dürfen die Kids von der Neuköllner KiTa „Putengarten“ jetzt wieder draußen spielen und toben. Zu spät - denn es wird kalt. Den ganzen schönen Sommer über, dies hatte in erster Instanz ein Nachbarsehepaar erwirkt, haben die kleinen „Lärmquellen“ im Haus bleiben müssen. Bußgelddrohung: 500 Mark pro Tag für die ElternKiTa in dem Einfamilienhausgebiet. Das Landgericht hob den Hausarrest gestern auf.

„Der Eigentümer“, so geht es aus einem Paragraphen des BGB hervor, „kann vom Störer die Beseitigung der Beeinträchtigungen verlangen, wenn sein Eigentum beeinträchtigt wird.“ Damit hatte das Amtsgericht Neukölln seine am 11. Januar gefällte Entscheidung begründet, nachdem sich ein Nachbarsehepaar durch den hierdurch verursachten „durchaus natürlichen“ Lärm belästigt gefühlt hatte. Bei Mißachtung, so das Gericht damals, müsse der Verurteilte wahlweise 500 Mark Ordnungsgeld entrichten, oder sich fünf Tage in Haft begeben.

Wäre da nicht die, wie es ein Anwalt formulierte, „allgemeingültige Aussagekraft“ des zu fällenden Urteils, das zu einem voraussichtlich immer dringender werdenden Problem in dieser Stadt klar Stellung bezieht, so hätte es sich wohl um eine eher alltägliche Nachbarschaftsklage gehandelt. So aber war das öffentliche Interesse außerordentlich. Neben vielen Kindern, deren Eltern und Erziehern und einem Fernsehteam war auch der Neuköllner Jugendstadtrat Wendt (AL) anwesend. Schon vor Verhandlungsbeginn war die Situation beider Parteien klar: hier eine lebhaft plaudernde und debattierende Menge, darunter etwa die Hälfte Kinder. Dort, sichtlich isoliert, drei verschlossen und humorlos wirkende Gestalten. Innerhalb des Verhandlungsraums, in dem nicht einmal die Hälfte des Publikums einen Sitzplatz fand, setzte sich dieses Bild fort. Vor lauter Lebhaftigkeit war es schwer, dem Prozeß zu folgen. Die Verhandlung selbst war nach wenigen Minuten vorüber. Der Anwalt der angeklagten KiTa hielt den Vorwurf der Lärmbelästigung nicht für das eigentliche Problem. Nicht einmal Lärmkontrollen seien in diesem Zusammenhang angestellt worden. Vielmehr ginge es darum, ob der KiTabetrieb grundsätzlich auf solchen Grundstücken möglich sei. Er wies weiterhin darauf hin, daß es sich hierbei um die einzige in dieser dichtbesiedelten Gegend vorhandene KiTa handele. Im Gegenzug verwies der Vertreter der Kläger darauf, daß die Ehefrau des ohnehin außerhalb berufstätigen Klägers auf Schlaf „angewiesen“ sei, Kinderfeindlichkeit wäre dem Ehepaar jedoch fremd. Er schlug vor, die KiTa auf einem gegenüberliegenden Grundstück zu betreiben. (Heiliger St. Florian, verschon‘ mein Haus, zünd‘ andere an! d. s.in)

Max Aly

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