: Kudamm (ost-)autofrei?
■ Der Senat erwägt Sperrung des Boulevards in der Adventszeit, weil 100.000 DDR-Touristen zum Einkaufsbummel erwartet werden
Was jahrlange AL-Verkehrspolitik nicht geschafft hat, die 100.000 noch vor Weihnachten erwarteten DDR-Touristen bringen es zuwege. Im Senat überlegt man, den Kurfürstendam für den Autoverkehr zeitweise zu sperren, um den Kauflustigen freien Lauf zu lassen. Das könnte eine der Maßnahmen sein, die eine vom Senat gestern offiziell eingerichtete Projektgruppe in Angriff nehmen wird. Die Gruppe soll den erwarteten Ansturm von DDR-Touristen vorbereiten.
Senatssprecher Kolhoff sagte gestern, man wolle alles unternehmen, um den starken Touristenansturm zu bewältigen. Um ein Verkehrschaos in der Stadt zu vermeiden, soll darauf hingearbeitet werden, daß die Besucher die öffentlichen Verkehrsmittel benutzen - und nicht mit dem eigenen Pkw einreisen. „Es gibt keine Parkplätze“, meinte Kolhoff. Deshalb wird eine Busverbindung nach Potsdam und anderen umliegenden Städten in der DDR erwogen. Die Arbeitsgruppe, die aus nahezu allen Senatsverwaltungen, der Senatskanzlei und zwei Mitgliedern des Rats der Bürgermeister zusammengesetzt ist, wird ein Informationsblatt für die Touristen entwerfen. Das soll neben einem Stadtplan, Hinweisen auf Sehenswürdigkeiten, Tips, auch Notrufadressen beinhalten. Da man aber realistischerweise davon ausgeht, daß viele sich in den Innenstadtbezirken und auf dem Kurfürstendam aufhalten werden, will man auch mit der „AG City“, dem Zusammenschluß der Geschäftsleute, zusammenkommen. Auch die müßten sich überlegen, so meinte Kolhoff gestern, wie sie sich auf den Ansturm vorbereiteten. Weitere konkrete Überlegungen wollte Kolhoff gestern nicht bekanntgeben.
In einem informellen Brainstorming ist man allerdings schon viel weiter gediehen. Um dem Kaufbedürfnis der Ost-Touristen nachzukommen, soll die BVG einen Sonderfahrplan einführen. Die Taktzeiten für Busse und U-Bahnen sollen verkürzt werden. DDR-Besucher können die BVG umsonst benutzen. Wer nach dem Einkauf noch Sehenswürdigkeiten besichtigen will, soll seine Einkaufstüten in bewachten Ablageflächen abstellen können.
Von seiner Idee eines „Begegnungsfestes“, die der regierende Bürgermeister Momper in seiner Euphorie über die ersten freien deutsch-deutschen Begegnungen seit dem Mauerbau äußerte, sei er wieder abgekommen. Man wollte den DDR-Touristen den Westen doch nicht ganz so golden vorführen. Die könnten ja alle bleiben wollen.
DDR-Besucher bekommen, wenn sie in den Westen kommen, 100 Mark Begrüßungsgeld. Bislang wurde das in den Bezirksämtern ausgezahlt. Da man fürchtet, dem Ansturm künftig nicht mehr gerecht zu werden, hat der Chef der Senatskanzlei, Schröder, einen Vorschlag an den Kanzleramtschef Seiters in Bonn gemacht. Danach soll das Begrüßungsgeld künftig von der Staatsbank der DDR ausgezahlt werden. Dabei sollen die Reisenden dort 100 Mark Ost zum Kurs von 1:1 umtauschen.
bf
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