: Wohnungsnot: Jetzt wird beschlagnahmt
■ AussiedlerInnen machen's möglich: Planwirtschaft in Bremen / Privates Lloyd-Hotel wird öffentliche Notunterkunft
Die List der Vernunft hat den Sozialismus doch noch nicht ganz abgeschrieben: Während tausende von Menschen die DDR -Planwirtschaft zugunsten des Privateigentums verlassen, sieht sich der Bremer BRD-Kapitalismus dank Aus- und ÜbersiedlerInnen jetzt zu ersten planwirtschaftlichen Methoden gezwungen. Die Sozialbehörde von Bürgermeister Henning Scherf will zum ersten Mal seit Ludwig Erhards Wirtschaftswunderzeiten ein privates Investitonsobjekt mit Beschlag belegen - notfalls per Zwangsmaßnahme und Obdachlosen-Polizeirecht: Im ehemaligen Lloyd-Hotel an der Nordseite des Hauptbahnhofs sollen 200 bis 300 Aus- und ÜbersiedlerInnen untergebracht werden. Das seit langem leerstehende Gebäude gehört zur Zeit einem Bremer Privat -Investor, der es erst vor wenigen Monaten gekauft hat. Nach dessen Plänen sollte es noch in diesem Jahr abgerissen werden und einem Kaufhaus in Kongreßcentrums-Nähe Platz machen. Die Verhandlungen mit dem Anwalt des Eigentümers, so Scherf-Vertreter Hoppensack gestern, hätten sich in den letzten Tagen von „totaler Ablehnung“ hin zu „möglichen Kompromissen“ entwickelt. Allerdings habe die Behörde dabei keinen Zweifel daran gelassen, daß sie auf das Gebäude angewiesen sei - so oder so.
„Gelinde gesagt, wenig glücklich“ ist Wirtschaftssenator Uwe Beckmeyer über den herben Dämpfer für seine Bemühungen, Bremens Image bei potenten Investoren aufzupolieren: Schließlich könnte sich rumsprechen, wenn gerade erst teuer erworbene Grundstücke hinterher zwangsrequiriert werden. Im Senat ist die Maßnahme der Scherfbehörde deshalb auch gar nicht abgestimmt, sondern als „unumgänglich“ bekanntgegeben worden.
Bis Montag sollen auch die Senatoren Franke und Sakuth dem Sozialsenator 500 Plätze nachweisen. Sakuth soll dabei auf die Suche nach Bunkern gehen (Hoppensack: „Psychologisch heikel, aber bis auf die Betonmassen und fehlenden Fenster eine sachlich akzeptable Sache“), Franke Turnhallen vorübergehend zur Verfügung stellen.
Geprüft wird außerdem die Unterbringung von 200 bis 300 NeubremerInnen in der ehemaligen HNO-Klinik auf dem St. -Jürgen-Gelände. Bei Justizsenator Volker Kröning wird derweil „flankierend“ über neue Richter-Stellen nachgedacht, die dafür sorgen sollen, daß bei Asylverfahren beschleunigt verhandelt und, falls abgelehnt, auch abgeschoben werden kann.
Die hektischen Aktivitäten des Senats-Krisenstabs „Zuwanderer-Unterbringung“ sind vor al
lem Folge der nach wie vor steigenden Zahlen der NeubremerInnen: Während die Sozialbehörde im Sommer noch von ca. 5.000 AsylbewerberInnen und AussiedlerInnen bis zum Jahresende erwartete, geht Hoppensack inzwischen von und 7.000 aus. Für das nächste Jahr werden 9.000 Flüchtlinge erwartet.
Hoppensack zeigte sich gestern verärgert über die oft büro
kratischen Verhandlungen bei neuen Notunterkünften. So scheiterten Verhandlungen mit dem Fortbildungswerk des DGB kürzlich daran, daß den Gewerkschaftern im letzten Moment einfiel, die Unterbringung von AussiedlerInnen auf ihrem Grundstück könne auf Kosten von Parkplätzen für ihre Privat -PKWs gehen.
Mit eher gemischten Gefühlen steht Scherfs Senatsdirktor inzwi
schen auch den jüngsten Entwicklungen in der DDR gegenüber. Bei allem Verständnis für die Forderung nach mehr Freizügigkeit in der DDR: Die Schätzung seines Parteifreunds Egon Bahr, nach der rund 1,5 Millionen DDR-BürgerInnen in die BRD übersiedeln würden, wenn sie könnten, ist für Hoppensack eine geradezu „apokalyptische Vorstellung“.
K.S.
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