: Im Schatten von Reykjavik
■ Die amerikanische Rechte hat Angst vor dem Treffen Bush-Gorbatschow
Richard Perle, Chefpropagandist über das „Reich des Bösen“ unter Reagan, trieb nur eine Sorge um: Hoffentlich wird unser Präsident Bush sich im sonnigen Mittelmeer nicht in derselben Weise über den Tisch ziehen lassen wie weiland Ronnie im kalten Island. Mit Schaudern denkt Amerikas Rechte an diesen Gipfel zurück, der, ebenfalls als Schnuppertreffen geplant, fast zu einer Verabredung über die völlige Verschrottung atomarer Waffen geführt hätte.
Art und Umstand des jetzt für Anfang Dezember geplanten Treffens drängen Erinnerungen an Reykjavik geradezu auf. Die relative Abgeschiedenheit, der kleine Beraterkreis und die unklare Tagesordnung lassen über einen Überraschungscoup spekulieren. Dazu kommt, daß sich in der US-Administration langsam, aber sicher die Linie durchzusetzt, daß eine Zusammenarbeit mit Gorbatschow kein Altruismus, sondern ureigenes Interesse ist. Während sich die Befürchtungen der Hardliner wiederum auf den militärischen Bereich konzentrieren, sprechen alle Indizien jedoch eher dafür, daß dieses Treffen vorrangig der zivilen Zusammenarbeit gewidmet sein wird. Weder die Wiener Verhandlungen über konventionelle Abrüstung in Europa noch die START-Gespräche über die Halbierung der Interkontinentalraketen machen derzeit ein Meeting auf Chef-Ebene notwendig.
Bush selbst hat bei Bekanntgabe des Treffens seinen Meinungswandel (Gipfel erst bei unterschriftsreifen Vereinbarungen) mit der rasanten Entwicklung in Osteuropa begründet. Auch die Alliierten hätten ihn gedrängt. Tatsächlich wollen die Westeuropäer von Bush endlich wissen, wie die USA sich Europa nach dem Kalten Krieg vorstellen und welchen Beitrag die Amerikaner zu übernehmen bereit sind, um die ökonomische Krise der RGW-Staaten nicht aus dem Ruder laufen zu lassen. Denn wer mittelfristig in der Sowjetunion verdienen will, muß jetzt erst einmal investieren. Dazu gehört ein politischer Rahmen, an dessen Herstellung Gorbatschow sicher großes Interesse hat. Selbst wenn es zum großen Wurf nicht reicht, stehen Fragen wie die Meistbegünstigungsklausel im Handel, die Abschaffung oder mindestens Straffung der Cocom-Liste, die Aufnahme in den Internationalen Währungsfonds und Modelle für einen gleitenden Übergang zur Konvertierbarkeit des Rubels seit längerem auf der Wunschliste Gorbatschows. Allein zum Teetrinken wäre das Flottentreffen im Mittelmeer dann doch zu aufwendig.
Jürgen Gottschlich
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