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Die Hölle der Schönheit

■ Jean Genets palästinensische Erinnerungen: „Ein verliebter Gefangener

Als Orpheus des Abschaums bezeichnete Francois Mauriac den 1910 in Paris geborenen Jean Genet, der, als unehelicher Sohn der Gabrielle Genet und eines unbekannt gebliebenen Vaters in Paris ausgesetzt, später bei bäuerlichen Pflegeeltern im nahegelegenen Dorf Aligny-Morvan großgezogen wurde und nach ersten Diebstählen die pädagogischen Rituale staatlicher Erziehungsheime kennenlernte, danach als Bettler, Dieb, Strichjunge und als Rauschgifthändler mehr als ein Jahrzehnt durch ganz Europa zog, bis er, lebenslänglich verurteilt, im Zuchthaus einsaß, 1941/42 mit dem Schreiben von Gedichten, Romanen und Theaterstücken begann, die ihn schnell bekannt machten, die zu der berühmten literarischen Intervention von Cocteau und Sartre führten, die dem Präsidenten der Republik am 15. Juli 1948 einen Brief schrieben, darin um Gnade für Genet baten, mit dem Hinweis auf Villon und Verlaine, zwei ebenfalls kriminellen Außenseitern der französischen Literatur, und dem Zusatz, Jean Genet wäre ins Zuchthaus gegangen für ein Vergehen Jean le Carnins, der auf den Barrikaden der Befreiung gefallen war, damit dessen Name makellos bliebe.

Wir wissen, daß sein Werk am Rande steht, so Sartre in seinem Appell, Mauriac, dieser konservative Erzengel der Literatur, verbot das Lesen der Bücher Genets mit der Warnung, die Leser würden sich der göttlichen Verdammnis aussetzen. Während im Knast die Domestizierung der meisten Gefangenen erfolgt, hat sich Genet genial selbst befreit; er transzendierte couragiert seine Existenz, die mehr eine Existenz der Anderen war - sie hatten ihn gemacht - und poetisierte die herrlichen Visagen der Kriminellen, seine sexuelle Praxis, „wir sind stolz, daß man uns von hinten nahm“ und widmete unverfroren seinen ersten Roman Notre -Dame-des-Fleurs, noch auf Tütenpapier im Gefängnis geschrieben, Maurice Pilorge, einem Mörder.

War es 1959 noch notwendig in Paris, in der Rue de Severin, beim Verlag Olympia Press, den Roman Querelle ohne Namensnennung des Übersetzers und mit dem Vermerkt VERKAUF IN DEUTSCHLAND VERBOTEN zu drucken, so finden wir heute die Bücher Genets in jeder Buchhandlung und sogar das sozialistisch-prüde Moskau spielt seit Jahren die sehr freizügige Inszenierung Die Zofen, die hier den authentischen Regieanweisungen Genets zufolge sogar von Männern dargestellt werden. Als Genet, der nie über einen festen Wohnsitz verfügte, in einem Zwei-Sterne-Hotel im 13. Arrondissement in Paris 1986 an einer Krebserkrankung des Kehlkopfes verstarb, war dieser poetische Revolutionär längst aus der Unterwelt in den literarischen Olymp emporgestiegen, schon 1951/52 frühzeitig geehrt durch die Gesamtausgabe seiner Werke mit dem monumentalen Essay Sartres, dieser existenziellen Situierung der Poetik Genets, die dieser brüskiert ins Feuer geworfen haben soll wegen der detaillierten, intimen Sequenzen, wonach er kaum noch schrieb und veröffentlichte. Dennoch war er kurz vor seinem Tod noch einmal zu dieser geschlechtslosen Geliebten zurückgekehrt, die meist einsam machend die Männer entflammt, der Literatur, für die er die verschriebenen schmerzstillenden Tabletten absetzte, um bei klarem Verstand sein Manuskript Un captif amoureux zu redigieren, das zu seinem politisch-poetischen Testament werden sollte.

Waren es meist einzelne Männer, denen Genet seine Liebe erklärte, so erklärte er jetzt seine Liebe einem ganzen Volk, „Palästina, dieser in Sand wohnenden Energie“. Die islamische Welt war ihm nicht unbekannt, schon als 18jähriger verschlug es ihn nach Damaskus, wo er sich innerhalb weniger Monate vom Soldaten zum Deserteur verwandelte. Genet, dessen Rebellion stets ästhetisch motiviert war, „ich bin auf den Diebstahl zugegangen wie auf eine Befreiung“, der nur die Schönheit im Obszönen ausmachen konnte, der Lüge, Homosexualität, Verrat und Mord verherrlichte, war zum verliebten Gefangenen geworden, seine Wahl überrascht nicht, alle seine Themen und Obsessionen finden sich komprimiert in seiner Sichtweise wieder, wie in einem Focus findet man sämtliche Sentenzen seiner Poesie, sein gesamtes Denken scheint in der Revolution dieser Palästinenser exemplarisch manifestiert, es scheint, als wäre diese von ihm inszeniert, diese theatralischen medienwirksamen Auftritte (vielleicht auch die effektivste Waffe ihrer Revolution), diese ritualisierten Inszenierungen des Scheitern, diese jungen Männer, die Heroen einer antiken Tragödie, die gegenüber einem allgegenwärtigen Tod trotzdem Krieger werden, gläubige Revolutionäre in einer archaisch -arabischen Welt, die von einem besetzten Terrain träumen, einem Stück Heimat, das für die Vertriebenen und Flüchtlinge schnell, bei einem etwaigen Sieg, zu einer bäuerlichen Idylle verkommen würde.

„Ich will dem Leser einem ständigen Hin und Her in der Zeit und auch im Raum aussetzen“, dieser programmatischen Strategie bleibt er 529 Seiten treu, sein Instrument ist keine intellektuelle Analyse, kein politischer Diskurs, noch die haßverzerrte Attacke gegen den israelischen Imperialismus, sondern es sind vielmehr die privaten Notizen, entstanden aus einer verliebten Perspektive, nachträglich niedergeschrieben nach den zahlreichen Besuchen in den Lagern und militärischen Stützpunkten (die er durch die Anweidung Jassir Arafats jederzeit aufsuchen konnte), seine Aufzeichnungen sind stets die eines Poeten, sein Instrumentarium ist und bleibt die Poesie, sie zeichnet seine Bilder mit dieser sprachlichen Virtuosität und Genauigkeit, sie versucht, einer zirkulierenden Spirale gleich, zu den Fragen zu gelangen, die Genet stets beschäftigten und gefangenhielten. Er kennt keinen Haß, eher ist es die tiefe Zuneigung zum Verrat, wenn er in begeisterten Bildern die brillante Mord-Inszenierung der Israelis beschreibt, die einigen Kadern der Fedajin den Tod bringt.

Eigentlich ist Genet ein Dialektiker der Poesie, er macht die unterschiedliche Motivation der Bestie Mensch sichtbar, deren Trieb-Mechanismen meist tabuisiert im Dunkeln bleiben, er, der Poet der Verdammten, zerrt aus der Finsternis verdrängt Bilder in unser Bewußtsein, die nochmals zitierten Sätze aus der Revue d'Etudes palestiniennes erinnern uns schamhaft an das Schweigen der deutschen Zeitungen zu den Massakern.

„Ich sah ihre Körper, die ausgebreiteten Arme, die überall mit Fliegen bedeckt waren, und wie diese vor allem an den zehn Enden der beiden Hände saßen: Sie waren mit zehn Klümpchen geronnenen Blutes geschwärzt; man hatte ihr die Fingerglieder abgeschnitten ...“ mit diesen Zeilen versuchte Genet 1982, auf die Massaker von Chatila und Sabra hinzuweisen, „aber vor allem der vom Anblick der Kostbarkeiten berauschte Falangist nahm sein Messer (oder die neben dem Haus gefundene Baumschere) und schnitt bis zum ersten Glied alle Finger ab (...) und steckte sie in die Hosentasche“. Diese und andere realistische Schilderungen sollte die Weltöffentlichkeit nicht erfahren, wie der Falangist die Finger wegsteckt, die er zuvor abschnitt, um an die Kostbarkeiten, wertlose Ringe palästinensischer Frauen zu gelangen, so wurde und wir die Realität im Nahen Osten in einer Dunkelheit belassen, deren Aufhellung er versucht.

Genet hat sich vermählt, sein poetisches Votum für Palästina zeigt diesen alten, einsamen Anarchisten vor dem Tod, “... selbst auf die Freundschaft und auf euch wichs ich / ich behalte mir das Glück, das die Richter mir gewähren...“, schrieb er einst als junger Mann, sein Glück, dieses alten, einsamen Mannes war Palästina, wie mit Handschellen kettet er sich an dieses 5-Millionen-Volk und kurz vor dem Tod, als er nochmals alle Erinnerungslandschaften bereist, „alle Bilder der Sprache bergen und sie gebrauchen, denn sie sind in der Wüste, wo wir sie suchen müssen...“, wird eine tiefe Sehnsucht spürbar, deren lebenslange Revolte ihn kurz vor seinem Tod zu Hamza reisen läßt, einem jungen, schönen Kämpfer und dessen Mutter; diese einfacher Araberin versorgte ihn einst mit Tee, diese einfache Geste, in abendlicher Trance ausgeführt, denn der Sohn war nicht zugegen, Genet lag im Dunkeln in seinem Bett und erfuhr zum ersten Mal die liebevolle Geste einer Mutter, die nicht ihm galt, sondern Hamza.

Genet ist tot, sein letztes Buch mag nicht mehr die geniale Effizienz seiner ersten Bücher und Theaterstücke erreichen, dennoch wird vielleicht gerade durch dieses Buch Cocteaus Annahme bestätigt, dieser amoralische Provokateur sei ein Moralist, vielleicht, prägnanter zeigt es einen engagierten Autor mit einem irritierenden Votum.

Hubert Fichte beklagte schon vor Jahren die Ignoranz der heterosexuellen Literaturrezension, die den Erneuerer des französischen Romans, der einst die Gossensprache des Argots mit den Versen Racines brillant vermischte, fast völlig ignorierte. Zwar wird seine kriminelle Vita durch zwei umfangreiche Biographien, die in Frankreich erschienen sind, relativiert, dennoch bleibt die einzigartige Bösartigkeit seiner Poesie, die nicht dem bürgerlichen Ritual folgt, das Böse darzustellen, um es zu negieren, sondern um die Schönheit des Bösen in alle Ewigkeiten zu preisen.

Frank Mühlich

Ein verliebter Gefangener, Palästinensische Erinnerungen, Kiepenheuer & Witsch, 529 Seiten, 48 DM

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