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Frißt die Rotation ihre Kinder?

Nachdem manche Grüne Bundestagsabgeordnete bereits vor der dritten Wahlperiode stehen, stellt sich die Frage der Rotation mit neuer Dringlichkeit  ■  Aus Bonn Gerd Nowakowski

„Maradonna ist zwar eitel und ein wenig unsolidarisch; er spielt allerdings genial.“ Mit dem Exkurs aufs Fußballfeld umrissen Realo-Wortführer Udo Knapp und Uwe Günther, Justitiar der Bundestagsfraktion der Grünen, schon vor Wochen das Problem der Rotation. Inzwischen braucht es nicht mehr die Übertragung des Schily-Mitarbeiters Knapp: Mit dem beabsichtigten Übertritt von Otto Schily in die SPD ist unerwartet einer der eigenwilligsten Dribbelkünstler der grünen Mannschaft ausgestiegen und das Rotationsproblem in der Debatte. Denn trotz des langanhaltenden Entfremdungsprozesses des Realo-Exponenten Schily mit der Partei war wohl der absehbare Beschluß der NRW-Grünen, keine dritte Kandidatur für den Bundestag zuzulassen, ein entscheidender Auslöser für seinen Schritt.

Den Führungsgremien der Grünen kommt die Diskussion jetzt ungelegen; die Partei wollte erst im Februar im Bundeshauptausschuß, dem höchsten Gremium zwischen den Parteitagen, darüber reden. Die Landesverbände sind derzeit aufgefordert, bis zum Jahresende ihre Vorstellungen zur Rotation zu entwickeln. Das kommt wohl zu spät, wie sich jetzt zeigt, denn in vielen Landesverbänden ist der Startschuß für die Aufstellung der Kandidatenlisten für den Bundestag und die Landtagswahlen des nächsten Jahres schon gefallen. Allgemein wird dabei erwartet, daß der NRW -Beschluß vom vergangenen Wochenende - nach acht Jahren ist Schluß - prägend für die Debatte in anderen Landesverbänden sein werde. Daß der Streit am heftigsten um die Ausnahmen von der Regel geführt wird, ist freilich ebenso sicher.

Der Bundestag lockt und je größer der „Beförderungsstau“ (Ludger Volmer) durch eine bisher fehlende Landtagsfraktion, um so heftiger das Gedränge um die Posten. Dabei wird die Rotation zur probaten Fußangel; als bittere Hürde für die bisherigen Amtsinhaber und wohlfeiles Instrument für die nachdrängende VolksvertreterInnen-Generation. Persönliche Interessenlagen werden mühsam kaschiert, die inhaltliche Bestimmung tritt hinter der Lust aufs Mandat zurück. Hochgehaltene Prinzipien werden nach Opportunität schnell eingezogen. Vor Jahren noch als „politisch verkommenes Subjekt“ wegen seines Eintretens für eine Acht-Jahres -Rotation beschimpft, durfte der NRW-Grüne Norbert Kostedde am vergangenen Wochenende nun verblüfft konstatieren, daß der Ankläger von damals - Eckhard Stratmann - nun nach zwei Perioden Bundestag auch einer dritten Periode nicht ablehnend gegenüberstand.

Zwar klagen die Mandatsträger der Grünen gerne und ausgiebig über den stressigen Job, doch lassen mögen die wenigsten davon. Politik macht süchtig; auch in der den Grünen angeblich so fremden Bonner Atmosphäre. Das drohende schwarze Loch aus Bedeutungsverlust und möglicher Arbeitslosigkeit nach einem Ausscheiden aus den Parlamenten verschärft noch den Wunsch zum weitermachen. Sich auf anderen Posten für die Partei einzusetzen, wie es sich die Rotationserfinder einst dachten, ist bei der geringen Wertschätzung bei der Basis und ungenügender Ausstattung der Parteifunktionen offenkundig ein zu billiger Ersatz. Wenn selbst ein Bundesvorstandsmitglied sich seine Briefe mangels Sekretärin selber schreiben muß, wird der üppige Apparat des Bundestags zur idealen Basis, um Politik zu machen.

Über etwas zu reden, was die Grünen nicht betraf, war leicht - nach siebenjähriger Zugehörigkeit im Bundestag wird die Rotation dagegen eine Frage der eigenen Glaubwürdigkeit, wenn an Altparteien kritisiert wird, was man selbst betreibt: Politik als Beruf. Bei knapp neun Jahren lag die durchschnittliche Verweildauer eines Bundestagsabgeordneten, bevor die Grünen 1982 die Bonner Bühne betraten - damals noch mit Zwei-Jahres-Rotation. Bei Beginn der jetzigen Wahlperiode lag der Durchschnitt schon bei 10,5 Jahren; auch Dank der Grünen, die ihre zweite Periode durchlaufen: Petra Kelly, Otto Schily, Antje Vollmer, Eckhard Stratmann, Christa Nickels, Marie Luise Beck-Oberdorf, Hubert Kleinert, Willi Hoss, Waltraud Schoppe und Ludger Volmer gehören dazu. Andere, wie der Fraktionssprecher Helmut Lippelt sind nahtlos vom Landtag in den Bundestag umgestiegen. Christa Nickels, von Teilen der NRW-Grünen als Spitzenkandidatin für den Landtag umworben, drückt aus, was jeder weiß: „Bei einer ununterbrochenen Amtszeit von mehr als acht Jahren kann natürlich von einer Rotation keine Rede mehr sein“.

Doch was „unter der Hand quasi abgeschafft“ (Verena Krieger) ist, scheidet offiziell die Geister und die Landesverbände. Einheitliche Positionen gibt es nicht, sie sind vorrangig von den vertretenen Strömungsinteressen bestimmt, eine kühle Bilanzierung fällt flach. Die realo -dominierten Hessen haben die „undemokratische“ Rotation ganz abgeschafft, weil es, so die Landesgeschäftsführerin Wolf, den Delegierten ihre Autonomie nehme, selbst über die geeigneten Kandidaten zu entscheiden. Die linken Hamburger halten dagegen noch an der Zwei-Jahres-Rotation fest.

Das ist selbst für die Parteilinke Krieger nicht haltbar, die der Zwei-Jahres-Regelung „erhebliche Nachteile“ bescheinigt. Sie vertritt aber eine ausnahmslose Mandatsbegrenzung auf vier Jahre. Frau Krieger wendet sich zugleich gegen einen umgreifenden „Selbstläufer-Mechanismus“ der Parteibasis, auf amtswillige „bewährte Alte“ zurückzugreifen, ohne die mit einer Rotation verbundene Chance zu nutzen, immer neue Mitglieder in einem „learning by doing“ zu qualifizieren. Doch was Verena Krieger als durch die Medien verstärkten Prozeß der Promi-Fixierung ansieht, kann ebenso als ein von den Mitgliedern sehr bewußt wahrgenommener Auswahlprozess gelten: Wohl kein Zufall ist, daß diejenigen Abgeordneten, die nun zum zweiten Mal im Bundestag sitzen, zugleich die mit Abstand prägendsten und auch bei den WählerInnen bekanntesten Grünen sind. Kaum einem der nachgerückten Mandatsträger ist es dagegen gelungen, sich zur Wahrnehmbarkeit in der Öffentlichkeit zu profilieren. Sind also auch bisher die grünen Delegierten klüger als das Prinzip?

„Flexibilität im Einzelfall, bei Beibehaltung des Prinzips der Erneuerung“, heißt die Rotationsformel von Vorstandssprecher Ralf Fücks. Der Wortführer des „Grünen Aufbruchs“ favorisiert eine Begrenzung auf zwei Wahlperioden mit der Möglichkeit der späteren Wiederwahl. Für ihn würde bei einer Aufgabe der Rotation „einer der größten Kredite“ der Grünen verspielt. Zugleich würdigt er die Rotation als „Selbstschutz“ vor der „Abhängigkeit von Promis“, den „Interessen der Parteielite und der Eigendynamik der Macht“. Wie die formulierte Flexibilität praktiziert werden könne? „Grüne müssen sich zutrauen, Personen als Personen zu beurteilen“, antwortet Ralf Fücks. Der gesunde Menschenverstand als zentrales Auswahlkriterium? Welche Rolle der Parteiorganisation zukommt, wenn aus der Ferne vom einfachen grünen Mitglied das konkrete Wirken der Abgeordneten nicht zu beurteilen ist, bleibt offen.

Die „Rotation frißt ihre Kinder“, formuliert sarkastisch Ludger Volmer, Sprecher des undogmatischen „Linken Forums“. Er ist nach zwei Wahlperioden im Bundestag direkt vom NRW -Rotationsbeschluß betroffen, der keine Ausnahmeregelung für eine dritte Wahlperiode zulässt. Für ihn, der von sich sagt, er sei „unschlüssig“, ob er überhaupt noch einmal habe kandidieren wollen, ist die Rotation eine „sekundäre Frage“. Die Partei drücke sich damit vielmehr vor der Frage der Qualifikation. Mindestens ein Drittel der Bundestagsabgeordenten sind nach seiner Schätzung „dem Job nicht gewachsen“ - für ihn eine Folge der grünen „Rasterfahndung“, die Kandidaten lediglich nach Proporzkriterien wie Strömungszugehörigkeit, Geschlecht, Alter, Regionen und Bewegungslobbyisten addiere. Welche Qualifikationen für den Bundestag und Landtag notwendig sind, sei noch nie festgelegt worden. Volmer, der Schilys Weggang als „längst überfällig“ begrüßt und ihm einen „Rechtsruck“ der Partei anlastet, meint vor allem ihn, wenn er davon spricht, „Berühmtheit ist kein Kritierium zur Befähigung zum institutionellen Handeln“. Dieses institutionelle Handeln ist für Volmer die zentrale Qualifikation. „Völliger Kappes“ ist deshalb für ihn Kriegers starre Rotationsregelung, auch wenn sie die Probleme „richtig benennt“. Abgeordnete seien bei den Grünen „autonomer und viel weniger kontrollierbar als bei anderen Parteien“, formuliert Volmer eine scheinbare Paradoxie, die für ihn die Konsequnz aus einer nur verbal formulierten, aber nie praktizierten Basisanbindung ist.

Die Realos Udo Knapp und Uwe Günther zielen auf eine Professionalisierung der grünen Politik-Fußballer, weil es keinen Sinn mache „eine Amateurmannschaft gegen Profis spielen zu lassen“. „Spielerauswechselungen kann man nicht nach systematischen oder dogmatischen Gesichtspunkten durchführen, sie müssen in Abhängigkeit gesehen werden von der Spielkunst der einzelnen Spieler, vom Spielstand und von dem, was die Zuschauer sehen wollen“, bleiben sie bei ihrer Antwort auf Verena Krieger im gewählten fußballerischen Scenario. Sie halten den scharfen Schnitt nach vier Jahren für eine „Reduzierung der innerparteilichen Demokratie“, weil damit die Attraktivität bestimmter Kandidaten auf die WählerInnen unberücksichtigt bleibe. Knapp/Günther befürchten bei einer rigiden Rotation eine Normierung der Individualität. Allerdings, so geben sie zu bedenken, „nicht jeder Fußballspieler, der gegen die Regeln verstößt, ist schon ein Maradonna“. Deshalb müsse auch gefragt werden, wie sich die „Alten“ im Amt bewährt hätten. In der Realität aber sei die Nominierung bestimmt vom Strömungszugehörigkeit, von „Mißtrauen, Taktik, Worthülsen und Geschwafel“, nicht von der Bewertung seiner Leistungen. Aus der Klemme, wie das in der Realität aussehen soll, mogeln sie sich allerdings mit einem sehr durchsichtigen Trick: Um die „gute Idee“ Rotationsprinzip zu retten und wohl auch, um keine eigene Festlegung treffen zu müssen, schlagen Knapp/Günther den Grünen eine politische Initative vor: Eine Grundgesetzänderung soll die Amtszeit des Bundeskanzlers und aller Abgeordneten auf acht Jahre begrenzen. Die anderen Parteien werden begeistert sein!

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