: Kopflos in die Abseitsfalle
Real Madrid - AC Mailand 1:0 (Hinspiel 0:2) / Realos schon wieder an der „Forza Milanesa“ gescheitert ■ Aus Madrid Werner Jürgens
Selten hat eine Begegnung in der zweiten Runde des Europapokals bereits vor dem Anpfiff derartig viel Staub aufgewirbelt. Weltweit verfolgten ca. 500 Millionen Menschen das Spiel, das von 25 Fernsehanstalten übertragen wurde. 1.200 Sicherheitsbeamte versuchten, mehr als 100.000. Zuschauer (darunter 2.000 mitgereiste Fans des AC Mailand) in den Griff zu bekommen. Der Schwarzmarkt florierte, für eine Eintrittskarte (Stehplatz wohlgemerkt) wurden auf dem Schwarzmarkt bis zu 1.200 Mark geboten.
Vor Spielbeginn ist ganz Madrid auf Sieg eingestellt. Die öden Wahlen sind vorbei, es ist Feiertag, das Wetter ist gut, und sämtliche Sportzeitungen bombardieren die spanischen Fans seit Wochen mit Ergebnissen aus vergangenen Jahren, die belegen sollen, daß eigentlich gar nichts schiefgehen kann: auch wenn das Hinspiel 2:0 für den AC Milan ausgegangen ist, in der Endabrechnung muß der Sieger (statistisch gesehen) Real Madrid heißen.
Außerdem hat Mailand personelle Probleme: Gullit kann nicht spielen, und Rijkaard ist angeschlagen. Real muß nur auf Schuster verzichten. Und: „Wenn Mailand ein Tor schießt, dann müssen wir eben vier Tore schießen“, meint Madrids Trainer John Toshack. So einfach ist das.
Nur, wenn großen Worten große Taten folgen sollen, dann geht das zumeist in die Hose. Das grandiose Spiel, das alle Welt erwartet hatte, war es letztendlich nicht. Vernünftige Spielzüge und Torraumszenen waren Mangelware. Dafür gab es jede Menge Fouls (insgesamt 50), und das einzige, was Farbe ins Spiel brachte, waren acht gelbe und eine rote Karte. Ein richtiger Spielfluß kam nicht zustande, da der AC Mailand mit einem flexiblen 4-5-1-System die Stürmer von Real permanent ins Abseits laufen ließ (insgesamt 24 Mal) und Madrids Sturmspitzen eine einzige Flaute waren. Hugo Sanchez fiel nur dann auf, wenn er Mailands Torhüter Galli bei dessen Abstößen umtänzelte. Ansonsten stand er meist im Abseits.
Das einzige Tor des Abends war dann auch mehr oder weniger ein Zufallsprodukt. In der 48. Minute, als alles auf den Pausenpfiff wartete, warf Michel den Ball von der linken Seitenlinie ein und Martin Vasquez flankte in den Fünfmeterraum. Der Ball ging an Freund und Feind vorbei, prallte an den rechten Außenpfosten, sprang zurück an den Kopf des am Boden liegenden Butragueno und landete schließlich im Tor. Hoffnung für die zweite Halbzeit.
Doch bis auf die ersten fünf Minuten, inklusive einem Abseitstor von Sanchez, passierte nicht viel. Der AC Mailand blockte geschickt ab, vorne sorgten Rijkaard und van Basten, den Sanchis nur mit Fouls stoppen konnte, immer wieder für Gefahr. Nach dem folgerichtigen Platzverweis für Sanchis in der 75. Minute kugelte sich zu allem Überfluß Paco Llorente die Schulter aus. Da Madrid sein Auswechselkontingent bereits erschöpft hatte, mußte die Mannschaft zeitweilig mit acht Feldspielern auskommen. Nach zehn Minuten kehrte Llorente zwar mit einer Armbinde zurück, aber weder er noch seine Kollegen konnten in den letzen Minuten etwas ausrichten. Schlußpfiff. Aus der Traum. Madrid draußen.
„Zu nervös, zu schnell, mit zu wenig Köpfchen“, habe Real gespielt, schreibt die Sportzeitung 'Marca‘. „Dem AC Mailand genügte eine solide Abwehrleistung, um ins Viertelfinale zu kommen.“ Nachdem Atletico Madrid bereits in der ersten Runde ausgeschieden war, erwischte es nun Real, Zaragoza, Barcelona und Valencia. Allein Real Valladolid überstand den zweiten Durchgang. „Schwarzer Europapokalabend für den spanischen Fußball“, resümierte die Sportgazette „AS“. „Bleibt abzuwarten, wie die eifrigen Statistiker das Ergebnis Real Madrids in ihre Prognosen für das nächste Jahr einbauen werden.
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