: Staubumwölktes Stelldichein im Knaufsattel
■ Deutsche Meisterschaften im Westernreiten / Erneuertes Hippologentum ohne Lagerfeuerromantik
Münster (taz) - Ein wenig seltsam sehen sie schon aus. Mit überbreiten Hüten, großgemusterten Hemden und allerlei Goldglanzschnickschnack ausstaffiert, wirken sie wie Statisten aus einem alten, opulenten B-Western. Doch sie wollen ernstgenommen werden. „Was wir hier machen, ist Sport der Spitzenklasse. Die ganze Marlboro-Klamotte kannste echt vergessen.“ Den allseits bekannten Technicolor -Reklamebildchen der Abenteuerlustigen - rauchend auf Pferderücken vor blutrotem Sonnenuntergang - widersprechen die neuen Helden heftig: „Nee, is‘ nich. Vergiß die Lagerfeuerchose. Ich sag's dir doch, Westernreiten ist Sport, um nicht zu sagen: Leistungssport.“
Westernreiten ist auch staubig. Wer im regennassen Münsterland reitet, wie so viele bei der diesjährigen Deutschen Meisterschaft, vertauscht den legendären western dust gegen schnöden Hallenstaub. Davon bietet die „Halle Münsterland“ in jenen Tagen reichlich. Vier Tage lang kämpften Amateure und Profis, Männer und Frauen, um Ruhm und Ehre in Sachen western riding, eine Leibesertüchtigung, die mit dem klassischen Rodeo so wenig gemeinsam hat wie tap dance mit Tango. Nicht um wildbuckelnde Rösser geht es hier und nicht ums rüde Zähmen widerspenstiger Mustangs. Lassowerfen gilt in dieser Szene allenfalls als attraktiver Akzidens in Umbaupausen, und selbst schnaubende Rinder treten nur mehr in erträglichen Formationen auf. Was aber ist es dann, daß Tausende bislang unbescholtener Bundesbürger und -bürgerinnen in den Knaufsattel treibt?
Die hehren Ziele des erneuerten Hippologentums lesen sich im Dossier der „Ersten Westernreiter Union Deutschlands, e. V.“ (EWU) wie ein Credo. Ein gehorsames Pferd, „eines, das leichten Hilfen gehorcht“, ein „trittsicheres, hellwaches, nervenstarkes“ Wesen sei gefordert. So wie damals, als es noch „Tausende von Rindern im offenen Gelände“ zu versammeln galt. Den gläubigen Anhängern ist dies Grund genug, auch heute noch entsprechende Vierbeiner zu züchten und sie, wie ihre zweibeinige Last, „unter kundiger Anleitung“ mit einer „seriösen Ausbildung“ zu versehen.
Nicht möglichst hoch und weit ist gefragt, keine schnellen Renn- und Springpferde will man haben und auch keine hypernervösen Dressurcracks. Das ideale western horse geht über Stock und Stein, ohne zu murren, unter Wäscheleinen durch und über Wippen hinweg. Es scheut nicht vor Zivilisationsmüll und kennt keine Angst vor heimischen Land-WG-Kühen.
Zum Beweis seiner Fähigkeiten und Charakterstärke - ruhig, rutschfest und kinderfreundlich - trifft sich das ideale western horse samt Überteil mit Gleichgesinnten alle zwei Jahre, im Wechsel mit der Europameisterschaft, zur „DM“. Auch bei der diesjährigen Deutschen Meisterschaft in Münster war's wieder die erste Sahne der Republik, eine reitende Avantgarde also, die sich und allen, die horrende Eintrittspreise zahlen mochten, ein frohgemut-staubumwölktes Stelldichein gab. Zwar war „internationale Besetzung“ angesagt und auch wirklich vertreten, doch „Deutscher Meister“ oder Meisterin konnte nur werden, wer über nachweisbar deutsche Herkunft verfügte. Die Freude der (deutschen) Teilnehmer und Teilnehmerinnen trübte solches Reglement freilich nicht. Sie tummelten sich in unzähligen Disziplinen, brillierten in Gangarten und Dressurwettbewerben, öffneten Tore und ließen andere, „den natürlichen Gegebenheiten nachempfundene“ Hindernisse im sogenannten „Trial-Parcours“ hinter sich; sie wedelten im Slalom um Regentonnen, bremsten scharf (sliding stop) und saßen aufrecht.
Die Amateure taten's für den guten Ruf und die Profis für den Ruf, mit dem sich zu Hause, im eigenen Trainings- und Zuchtstall, gutes Geld machen läßt. Und alle zusammen tun sie es, Jahr um Jahr, für eine wichtige Mission: die mediengerechte Verbreitung der message vom good old western horse in Germany. Daß mit der segensreichen Botschaft vom familien- und umweltgerechten Vierbeiner auch immer mehr das equipment in den Vordergrund gerät, der lukrative Zubehör- und Allerleihandel, stört die fast durchweg amerikanisierte Szene kaum. Klappern gehört zum Handwerk und Verkaufen zum Geschäft - sagen jene, die schon lange dabei sind.
Wer wollte sich da noch wundern, daß der Stadionsprecher der Halle Münsterland, vier Tage lang, in bester Privatsendermanier und knapp zehnminütigen Abständen die Prüfungen unterbrach, um für die überteuerten Produkte der stets präsenten Sattel- und Ramschgeschäfte zu werben, um neben den besten deutsch-amerikanischen Zuchthengsten auch die besten nationalen Zugmaschinen zu preisen, nicht zu vergessen die Wimpelfabrikanten im Foyer.
Die Original-Western-Rösser jedenfalls nahmen's gelassen, bestiegen, ohne zu murren, am Abend geräumige Hänger hinter breiten Geländewagen - und verschwanden auf der A1 in Richtung Sonnenuntergang.
-bibi
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