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Wird jetzt Minister Weimar stillgelegt?

■ Verwaltungsgerichtshof wirft Umweltminister „offensichtlich rechtswidrige“ Alkem-Genehmigung vor

Kein anderer bundesdeutscher Betrieb hantiert mit solchen Mengen Plutonium wie Alkem. Und der hessische Umweltminister hat jetzt bescheinigt bekommen, daß er die Atomschmiede rechtswidrig hat arbeiten lassen. Und daß er von der Rechtswidrigkeit wußte: Seine Teilgenehmigungen sollten nur andere Genehmigungen ersetzen, die schon ein anderes Gericht für ungültig erklärt hatte.

Der amtierende hessische Wirtschaftsminister Alfred Schmidt (FDP) ist ein kluger Handwerksmeister. Der Nordhesse hatte im Mai 1987 das ihm angebotene Ministeramt nur unter einer Bedingung angenommen: daß der ganze Atomsumpf - in dem sein Vorgänger Ulrich Steger (SPD) versackt war - aus dem Wirtschaftsministerium ausgelagert werde. Die delikate Aufgabe der Überwachung und Genehmigung atomarer Anlagen wurde von Ministerpräsident Wallmann nun dem neuen Umweltminister Karlheinz Weimar (CDU) aufgebürdet, der seitdem auch den Titel eines Reaktorsicherheitsministers führen darf.

Nur knapp dreißig Monate später steht Weimar nun das trübe Wasser des Atomsumpfes in Kragenhöhe - während Wirtschaftsminister Alfred Schmidt noch immer trockenen Fußes den hessischen Verkehr regelt. Weimar, der mit „eisernem Besen“ den Hanauer Schlamp- und Skandalladen sauberfegen wollte, hat der Verwaltungsgerichtshof in Kassel zumindest ein Bein vom Ministersessel gesägt. Die Oppositionsparteien SPD und Grüne haben gestern im Landtag Entlassungsanträge gegen Weimar angekündigt - falls der Minister nicht in den nächsten Tagen „anstandshalber selbst seinen Hut nimmt“ (Klemm/SPD).

„Offensichtlich rechtswidrig“

Weimar selbst hat die Säge kräftig mit durchgezogen: Selbstherrlich hatte er diverse, vom Landgericht Hanau 1988 für unzulässig erklärte Vorabzustimmungen für neue Produktions- und Anlagenteile der Hanauer Plutoniumschmiede Alkem in „ordentliche Teilgenehmigungen“ umgewandelt - ein Trick, den die fünf Berufsrichter der Kasseler Verwaltungskammer jetzt als „offensichtlich rechtswidrigen Verwaltungsakt“ bezeichnet haben: gebündelte illegale Vorabzustimmungen.

Die von der Klage zweier Bürger aus Hanau betroffenen Anlagenteile der inzwischen im Siemens-Brennelementewerk integrierten Alkem mußten sofort nach Verkündung des Urteils stillgelegt werden. Das Gericht gelangte nach zweitägiger Beratung nämlich auch zu dem Schluß, daß der von Minister Weimar im Mai 1988 angeordnete Sofortvollzug der Teilgenehmigung wegen ihrer Rechtswidrigkeit nicht länger hingenommen werden kann. Und die Aufhebung des Sofortvollzugs erlangt sofort nach der Urteilsverkündung Rechtskraft.

Gegen das Urteil selbst hat der Verwaltungsgerichtshof Revision beim Bundesverwaltungsgericht in Berlin zugelassen. Umweltminister Weimar und die Weltfirma Siemens wollen nun Arm in Arm - den juristischen Weg nach Berlin beschreiten.

Landtag als Tribunal

Zuvor wird Weimar allerdings vor dem hessischen Landtag seinen Kopf aus der selbstgelegten Schlinge ziehen müssen. Für die Grünen haben gestern mittag Joschka Fischer und Rupert von Plottnitz einen Abwahlantrag gegen den Minister angekündigt. Eine Stunde später zog die SPD nach: Für sie erklärte Lothar Klemm vor der Landespressekonferenz, die SPD gedenke, mit Weimar während der Haushaltsdebatte in der kommenden Woche „abrechnen“ zu können. Sollte Weimar die Stirn haben, an seinem Sessel zu kleben, dann werde seine Fraktion einen Entlassungsantrag stellen.

Darüber hinaus wollen die Sozialdemokraten in einer öffentlichen Sondersitzung das „Gestrüpp aus Halb- und Unwahrheiten“ lichten, das in der Amtszeit von Weimar um die Hanauer Nuklearbetriebe herum gewachsen sei. Klemm verwies darauf, daß die Vorabgenehmigungen schließlich Monate vor Erlaß der Teilgenehmigung für die Alkem vom Hanauer Landgericht für illegal erklärt worden war.

Den Grünen und ihrem früheren Umweltminister Joschka Fischer war das Kasseler Urteil denn auch Balsam auf immer noch offene Wunden und Bestätigung für die Rechtsauffassung, die sie schon zu Zeiten der rot-grünen Koalition in Wiesbaden vertreten hatten: Ohne ordentliches Genehmigungsverfahren nach dem Atomgesetz hätten nach dessen Novellierung im Jahre 1975 keine Genehmigungen mehr erteilt werden dürfen.

Ein ordentliches Genehmigungsverfahren aber verlangt die Beteiligung der Öffentlichkeit. Daß Weimar bei der Teilgenehmigung für die neuen Anlage- und Produktionsteile der Alkem eine öffentliche Anhörung verweigert habe, sagen die Grünen, sei denn auch seine zweite „Todsünde“ gewesen neben der Illegalität der Teilgenehmigung. Die Grünen wollen deshalb prüfen lassen, ob nicht auch andere Hanauer Betriebe - „etwa die RBU“ (Fischer) - nach 1975 ihre Altanlagen ohne ordentliche Genehmigungsverfahren aufgepeppt haben.

Von Plottnitz: „Das Verwaltungsgerichtsurteil stellt fest, daß der sogenannte Bestandsschutz des 1975 geänderten Atomgesetzes nur für Anlagen in ihrem ursprünglichen Zustand bis zur Novellierung des Gesetzes gilt. Alle danach ohne Verfahren nach dem geänderten Atomgesetz vorgenommenen Veränderungen an atomaren Altanlagen sind deshalb als illegal zu bezeichnen.“ Unter diesem Blickwinkel eröffne das Urteil von Kassel den betroffenen Bürgern „völlig neue Klageperspektiven“.

Weimar kleinlaut

Im Hause des „Taschenspielers Weimar“ (Klemm/SPD) herrschte gestern Funkstille. Der Mann, der in seiner Heimatstadt Limburg nicht nur als Politiker, sondern auch als Handballspieler einen Namen hat, erklärte lediglich dem Hessischen Rundfunk kleinlaut, daß die „Rechtslage unklar“ sei und daß man in seinem Hause den „Gang nach Berlin“ vor das Bundesverwaltungsgericht vorbereiten werde. Von dem Eilverfahren, das Weimar nach der Urteilsverkündung sogleich angekündigt hatte, war dann gestern in Wiesbaden nicht mehr die Rede. Der CDU-Fraktionsvorsitzende Nassauer mußte seinen juristisch ausgebildeten Minister korrigieren: ein Eilverfahren sei aus juristischen Gründen vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht möglich.

Klaus-Peter Klingelschmitt, Wiesbade

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