: 'Zweite Hand‘ in Polen
■ Anzeigenblatt expandiert in Richtung Osten - und kam den Medienkonzernen zuvor
Völlig unbemerkt von der Öffentlichkeit hat sich die Kleinanzeigenzeitung 'Zweite Hand‘ ein zweites Bein zugelegt: ein Standbein in Polen. Seit dem 6.März 1989 bereits erscheint die 'Zweite Hand‘ in Stettin, jetzt auch in Krakau und Danzig. 'Kontakt‘ steht dick und farbig auf der Titelseite, ansonsten ist alles wie beim Berliner Mutterblatt: Layout und Rubriken, private und gewerbliche Anzeigen. Auf polnisch natürlich, aber mit Westberliner Einsprengseln: im Verlagshaus an der Potsdamer Straße werden Anzeigen von Berliner Werbekunden angenommen. Mit verblüffendem Ergebnis, zum Beispiel in der Danziger 'Kontakt'-Ausgabe vom 12.10.: da werben acht Computer, Hifi und Videoshops, sieben Auto- und Ersatzteilgeschäfte, eine Pelzboutique (!), eine Wechselstube und eine große deutsche Bank. Konrad Börries, einer der 'Zweite-Hand' -Geschäftsführer, ist's zufrieden: „Bereits nach gut einem halben Jahr wirft 'Kontakt‘ Gewinne ab.“ Sloty natürlich. Die werden gleich wieder investiert: noch im November soll 'Kontakt‘ in Warschau erscheinen. Das ganze ist ein „Joint -Venture„-Unternehmen. Anfang des Jahres hatten die Geschäftsführer einer polnischen GmbH in Berlin angefragt, ob Interesse, Engagement und Kapital für eine polnische 'Zweite Hand‘ aufgebracht werden könnten. Der Verlag investierte daraufhin Know-how und Divisen - und hat als erstes westeuropäisches Unternehmen ein Bein im RGW -Kleinanzeigengeschäft. „Wir wollten uns diese Chance nicht durch einen Medienriesen von der Schippe nehmen lassen“, begründet Konrad Börries das lange Geheimhalten des Geschäfts. Ein Geschäft mit Risiken: im März war Solidarnosc in Polen noch verboten, verhandelte mit der Regierung am runden Tisch. Ausgang: ungewiß. Ausgang des Joint-Venture -Unternehmens: ungewiß. Erst im Dezember 1988 war ein Gesetz verabschiedet worden, das westliche Kapitalanlagen gestattete. Ob die wirtschaftliche Öffnung aber auch nach der komplizierten Regierungsbildung fortgesetzt würde, war nicht abzusehen. Zudem wird die Zeitungsproduktion in Polen immer wieder gebremst: Papiermangel. Mal muß die Seitenzahl reduziert werden, mal die Auflage. „Kurz- und mittelfristig können wir keine Bilanzgewinne erwarten, aber langfristig...“ Langfristig kann Börries auf Expansion der 'Zweiten Hand‘ (Auflage in Berlin: 95.000 pro Woche) in andere osteuropäische Länder hoffen. Was nahe läge: in die DDR. „Das wäre schön, ja, nur die Gesetzeslage ist dort noch nicht danach.“ Schließlich erschien in Sachsen die erste Zeitung der Welt, die 'Leipziger Allgemeine‘. Und die bestand, ausschließlich, aus Kleinanzeigen.
Michael Castritius
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