: Frische Luft
Geschichte und Geschichten aus der DDR / Über Fluchtbewegungen, entführte Köche, arbeitslose Spione ■ E R E I G N I S D D R
Künftig gibt es laut Beschluß des Ministerrates auch in der DDR Smogalarm.
Das'Neue Deutschland‘ zeigt Reue. „In eigener Sache“ distanziert sich das Blatt in der gestrigen Ausgabe von einem haarsträubend-spektakulären Bericht vom 21.9. Unter dem Titel Wie Bundesbürger gemacht werden hatte ein Koch von seiner angeblichen Entführung aus Ungarn in die BRD berichtet. Er sei mit einer Mentholzigarette betäubt worden. Jetzt ist das Blatt einsichtig, akzeptiert den „heutigen Erkenntnisstand“ und bedauert die Veröffentlichung.
Giftschränke auf! In der Staatsbibliothek und in der Humboldt-Universität zu Berlin sollen schon bald die Bücher wieder öffentlich zugänglich sein, die bislang mit dem Bann belegt waren.
Auf die Pädagogen der DDR wirkt der Abgang von Volksbildungsministerin Margot Honecker beflügelnd: 50 Wissenschaftler von pädagogischen Hochschulen fordern einen Erneuerungsprozeß in Schule und Erziehungspraxis.
Auch die Architekten bleiben von der Wende nicht verschont. Der Präsident des Bundes der Architekten Ewald Henn erklärte am Donnerstag seinen Rücktritt. Bauminister Wolfgang Junker
-noch im Amt - plädierte für „neue Wege beim Bauen in den Städten“.
Die Flucht nach hinten trat gestern auch der Vorsitzende der Gewerkschaft Kunst, Herbert Bischoff an. Sein Demissionsantrag wurde vom Zentralvorstand einstimmig angenommen.
Gesellschaftlich schwerer zu verkraften als die Rücktrittswelle der Altvorderen ist der Aderlaß im Gesundheitswesen. Die 'Berliner Zeitung‘ berichtet, daß in den letzten Wochen 1.100 Ärzte und Krankenschwestern allein aus Ost-Berlin in die BRD übergesiedelt sind.
Für eine der schwierigsten Fragen bei der Demokratisierung des Landes gibt es jetzt erste konkrete Vorstellungen: 50 Prozent der Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes sollen im Zuge der gesellschaftlichen Humanisierung entlassen werden. Sie können dann die Lücken schließen, die die Ausreiser gerissen haben: Jedem Entlassenen sollen drei Arbeitsplätze zur Auswahl gestellt werden. Die taz wünscht: „Frohes Schaffen im Dienste des sozialistischen Aufbaus.“
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