: Kohl tauscht: Kreisau statt Annaberg
■ Des Kanzlers Symbolsucht hat einen neuen Austragungsort gefunden / Nach zahlreichen polnischen und deutschen Protesten wurde das umstrittene Programm des Polenbesuchs verändert
Berlin (dpa/taz) - Kanzlerberater Teltschik ist sein Geld wert. Bei einem Blitzbesuch in Warschau ist es ihm gelungen, mit der polnischen Administration ein Ersatzziel für den umstrittenen Besuch Kohls in Annaberg zu vereinbaren.
Statt eine Messe in dem oberschlesischen Wallfahrtsort zu besuchen, werden Kohl und der polnische Regierungschef Mazowiecki gemeinsam an einem Gottesdienst in dem niederschlesischen Ort Kreisau teilnehmen. Damit wurde im Besuchsprogramm eine Stätte, die in Polen seit den blutigen Auseinandersetzungen zwischen Polen und Deutschen Anfang der zwanziger Jahre als ein patriotisches Symbol gilt, durch ein gesichertes bundesdeutsches Geschichtsgut ersetzt: das Gut des Grafen Helmuth James Graf von Moltke in Kreisau gab einer 1942 gegründeten Widerstandsgruppe gegen Hitler den Namen Kreisauer Kreis.
Nachdem es bereits seit Wochen Kritik an Kohls starrköpfigem Beharren auf dem Besuch in Annaberg gegeben hatte, war am Donnerstag in Bonn die Absicht des Kanzlers bekannt gegeben worden, auf diese Visite zu verzichten. Nach diesem Rückzug war Kanzlerberater Teltschik zu einer delikaten Blitzmission nach Warschau gereist, um dort ein für beide Seiten vertretbares Ersatzziel auszuhandeln.
Kreisau ist dabei keine eigentliche Überraschungslösung, denn schon seit geraumer Zeit gibt es Bestrebungen der Bonner Regierung, in Kreisau, das heute polnisch Kryzowa heißt, ein Denkmal für den bürgerlichen Widerstand in Deutschland zu errichten. Regierungssprecher Klein betonte, daß der Ort Kreisau bis heute an das „andere Deutschland“ in der Zeit des Nationalsozialismus erinnere. Er symbolisiere „im tiefsten Sinne den Willen zu Frieden, Aussöhnung und Zusammenarbeit zwischen Deutschen und Polen“.
Der Bund der Vertriebenen erklärte zu dem Besuch Kohls in Kreisau, daß er für eine neue Phase deutsch-polnischer Verständigung möglicherweise Symbolcharakter haben könnte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen