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MODERN PRIMITIVISM

„Dead Chickens“ und „Radio Subcom“ im Arcanoa  ■ 

„Pest, Cholera und schwarze Pocken,

gibt es nur, weil der Tanz

und folglich das Theater, zu existiere

noch nicht begonnen haben.

(A. Artaud

Standfoto (schon leicht vergilbt): Konzert im „Drugstore“, etliche Gruppen, gegen Morgen die „Dead Chickens“. Die Bühne ist vollgestellt mit riesigen bemalten Monstern, ein eisernes Krokodil kommt aus einem Loch hervor und schnappt nach einem halbkugeligen, pelzigen Wesen. Feuer lodert empor. An der Trommel sitzt einer mit Stiermaske, schlägt dauernden Rhythmus. Der Gitarrist, ganz in Felle und obskuren eisernen Schmuck gekleidet, spielt sagenhaft schnell. Seine Gitarre ist am Hals mit einem geöffneten Schnabel versehen, womit er, um das wuselnde Pelzwesen kämpfend, das Krokodil angreift.

Standfoto: „Mutoid Waste Company“ und „Dead Chickens“ auf dem Görlitzer Bahnhof. Die post-industriellen Nomaden hausen in einer Mad-Max-II-Welt. Archaischen Dämonen gleich erheben sich aus Schrott und Abfällen gearbeitete Skulpturen über das Gelände. Verwegen gestylte primitive Maschinen bewegen sich zwischen den Aktiven, die alle auf irgendeine Weise ihren Körper modifiziert haben; Muster in Neonfarben bedecken die Haut, die Gesichter hinter Masken oder Helmen verborgen, mechanische Schrotteile wie rituelle Amulette an die Fetzen der Kleidung geheftet. In der Nacht dröhnen Motoren und Trommeln, die die Botschaft verkünden: „Mutate, Mutate!“

Standfoto: „Radio Subcom“ und die „Dead Chickens“ auf der Ars Electronica in Linz. Elektronische Netze, High-Tech -Gadgets, die via Sound oder elektromagnetischen Impulsen auf den Körper einwirken, Mensch/Maschinen-Schnittstellen. Mit frühindustriellen Arbeitsmethoden erstellen die „Chickens“ eine primitive, cargo-cult-mäßige Landschaft, präsentieren eine Symbiose von Eisen, Fell und Elektronik und führen ihre Version des Kriegs der Sterne vor.

Nun also haben die „Chickens“ zusammen mit „Radio Subcom“ im Arcanoa eine „Geisterbahn“ installiert. Über mehrere Ebenen hinweg, durch durchbrochene Wände hindurch, falten sich psychische Wucherungen aus, bilden sich Metastasen einer fantastischen Architektur. Geht man eine Treppe hinauf, muß man oben an einem eisernen Strauch vorbei, an dessen Ästen runde Köpfe mit scharfkantigen Mäulern hängen, die nach dir schnappen. In dem Raum dahinter findet man sich in einem verwunschenen Wald wieder. Wie Baumkronen schmiegen sich verschlungene, metallische und mit Fell umwickelte Strukturen in die Ecken, worin man sich sehr bequem niederlassen kann. Ein winziger Monitor, von einem gummiähnlichen Pelz bedeckt, scheint organisch hineingewachsen zu sein. Unter der Bühne ist eine andere Höhlenhölle angelegt. Auf allen vieren robbt man durch einen engen, mit Fellen ausgekleideten Gang, auf ein blitzendes Stroboskop zu. Desorientiert gelangt man an eine Ausbuchtung, grellrote Beutel aus Plastik hängen von der Decke, Bierflaschen liegen rum, und es ist angenehm warm. Hier im Bauch ließe es sich aushalten. Durch ein Loch in der Decke gelangt man auf die Bühne, ist umringt von Feuerzacken aus Schrott und sieht vor sich den „Schnapper“, ein vogelähnliches Wesen mit gigantischem Schnabel, der, von einem primitiven Mechanismus angetrieben, vor allem Lärm macht. Überall hängen Monitore, auf denen bunte, psychedelische Bilder ablaufen, sonst erhellen nur matte verschiedenfarbige Lichter die unwirkliche Szenerie. Das alles sieht nach Verdichtung „wilder Psychoanalyse“ aus oder nach einem Ort schamanischer Praktiken.

Micky Remann ordnete die „Chickens“ (taz vom 2.10.) zu Recht den Cyber-Punks zu; verschiedene Momente sind anzutreffen: Die „Chickens“ und „Radio Subcom“ sind von der Straße, sie verfremden und benutzen rohe, elementare Überbleibsel der Industriegesellschaft, formen damit Ikonen eigener Orientierung. Es gibt das Moment der starken Betonung des Körpers, dessen Individualität durch die Einwirkungen/Einschreibungen unterschiedlicher Technologien verstärkt wird. Und es findet sich das Motiv des tribe, des Stammes.

Überall auf der Welt zerfallen die überkommenen sozialen Gemeinschaften aufgrund der diversen Technologien. Die Strukturen des Zusammenlebens werden eher durch die Art der Technik geprägt/informiert, der man ausgesetzt ist. Die Leute, die auf ihre Weise mit der gewählten Technologie verschmelzen wollen, bilden Netze, Stämme.

Die „Chickens“ geben ein gutes Beispiel. Sie leben mit anderen zusammen in einem spezifischen Soziotop; ihr Haus ist überall mit den Zeichen der eigenen Ordnung versehen. Die Architektur entspricht den apokalyptischen Visionen von W.S. Burroughs, die ursprünglichen Formen sind transformiert: Man hat sich seinen eigenen Raum geschaffen.

Aus diesem Gemeinschaftsleben heraus entstehen dann so halb -öffentliche Aktionen, wie die jetzige im Arcanoa. Alle Bands, die auftreten, sind untereinander vernetzt. Und für Kinder gab es eine eigene Party mit den Sängern Rocco und Shama. Der Stamm feiert ein Fest.

Der Höhepunkt wird sicher wieder die psychic rallye der „Dead Chickens„/„Radio Subcom“ sein. Diese ähnelt in der Tat mehr einem schamanischen Stammesritual als dem Auftritt einer Rockband. Hannes Heiner hat, den Schamanen gleich, seine Drums zu einem mythischen Reittier umfunktioniert, auf dem die ekstatische Reise durch Himmel und Hölle stattfindet. Flügel soll das Drumkit auch noch bekommen, womit die Symbolik mehr als deutlich wird. Über das endlose Dröhnen der Trommeln legt Kai F. seinen Gitarren-wall-of -Sound. Das sind keine Liedchen, sondern das „ekstatische Verschwenden libidinöser Energien“ (Bataille). Die Musik ist nur noch zusätzliche Stimulation in der Zeit in dem mythisch neubesetzten Raum. Verblüffend ist die traumwandlerische Sicherheit, mit der die „Chickens“ archetypische Muster berühren und verwenden - denn diese werden nicht bewußt benutzt, es gibt keinen Autor, die Aktionen wachsen aus sich selbst heraus.

William Gibson beschreibt in einer seiner Cyber-Punk -Stories einen Helden namens Ruby. Er nennt ihn „Gomi No Sensei„/„Master Of Junk“. Ruby lebt auf einer gigantischen, Tokio vorgelagerten Müllhalde. Er sammelt den Ausschuß seiner Zivilisation und verbringt ihn in seiner Werkstatt, die mit allen möglichen Werkzeugen vollgestopft ist. Ruby kennt in dem offensichtlichen Chaos den Platz von jedem seiner Technologien/„Ausweitungen“ des Körpers (McLuhan), hat sich durch sie seinen eigenen Raum geschaffen, von dem aus er sich in die Welt einschreibt. Ruby gestaltet Objekte, die „Dead Chickens“ bauen ganze künstliche Realitäten, Slum -Erlebnis-Welten.

R. Stoert

„Dead Chickens“, Haus Asher III im Arcanoa, Zossener Straße 48, 1-61. Konzerte: 6.11.: Ari in Armi & Panthera; 7.11.: „Dead Chickens“ & „Radio Subcom“, Beginn jeweils um 19 Uhr, Eintritt: 5 Mark.

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