piwik no script img

30 Jahre „Comedy and Revolution“

■ Die „San Francisco Mime Troupe“

Politische Aufklärung liegt nicht im Theatertrend. Aber die Mime Troupe, die derzeit ihr dreißigjähriges Bestehen feiert, ist mehr als der pädagogische Zeigefinger des Theaters, sie macht eine gute Show und dafür ist sie populär: keinen Sommer in San Franciscos Parks ohne die Mime Troupe. Von Juni bis Anfang September versammelt die mobile Bühne an den Wochenenden mehrere hundert Menschen um sich, versorgt mit Decken und Eßbarem. Die Mime Troupe ist zur Institution in den Parks der Bay Area geworden, ein Recht, das sie in ihren Anfängen in aufregenden Begegnungen mit den Ordnungshütern der Stadt erst durchsetzen mußte. Eine ihrer ersten Auszeichnungen war dann auch der „Village Voice OFF -Broadway OBIE“, den sie 1967 für Revolution and grooving in the Parks erhielt.

Mit den Ereignissen in der Gruppe und um sie herum haben sich Organisationsform, Stil und Inhalte geändert. 1970 hat die Troupe sich von ihrem Gründer Ronnie G. Davis getrennt, es gab Konflikte um seinen autokratischen Führungsstil. Seitdem verstehen sie sich als Kollektiv, genauer gesagt als rationalisiertes Kollektiv: Das Management steht zum Kollektiv im Angestelltenverhältnis. Das Prinzip der Rotation aller Funktionen erwies sich als uneffektiv, und es wurden Fachfrauen und -männer engagiert. Seit 1974 hat die Gruppe den Anspruch, ein multikulturelles Theater zu sein: Der Regenbogen der verschiedenen Ethnien der amerikanischen Gesellschaft soll sich im Kollektiv wiederfinden. Ein Anspruch, der nicht einfach einzulösen ist und inzwischen per ethnischer Quotenregelung durchgesetzt wird: Wer ins Kollektiv aufgenommen werden will, darf SchwarzeR sein, Latino, AraberIn oder JapanerIn - nur nicht White Anglo Saxon Protestant - wie schon sechs der zehn Kollektivmitglieder.

Die Mime Troupe ist ein Unikum in der amerikanischen Theaterlandschaft; sie bereist mit ihrem politischen Musical -Theater auch andere Kontinente. Sie selbst bezeichnet sich als „die Etablierte unter den Unetablierten“. 1987 erhielt die Gruppe den angesehenen „TONY“ (eine Auszeichnung des Amerikanischen Kritikerverbandes ACTCA) für ihr Stück The Dragon Lady's Revenge, ein Thriller über Drogengeschäfte des CIA in Mittelamerika. Die Mime Tropupe bedankte sich bei American Express, einem der Sponsoren der Auszeichnung, dafür, daß die Company 15.000 Dollar aus ihren düsteren Geschäften in Südafrika herausgezogen habe, um sie einer „guten Sache“ zukommen zu lassen. „Wir werden die Hand beißen, die uns füttert“, so Regisseur Dan Chumley - und ihre Futterration staatlicherseits macht mittlerweile ein Viertel ihres jährlichen Umsatzes aus.

Immer drehen sich die Themen um die große oder kleine Politik. Zumindestens zwei Themen inszeniert die Truppe jährlich - sei es die US-Außen- oder -Innenpolitik, seien es die steigenden Lebensmittelpreise - eigene Geschichtsbewältigung: Ein 68er-Hippie braucht zwanzig Jahre, um seinen Rausch auszuschlafen, und erkennt die Welt der späten Achtziger nicht wieder... (Ripped van Winkle)

Die 89er-Sommerproduktion aber heißt Seeing Double: Sie wird im kommenden Frühjahr mit großer Wahrscheinlichkeit auch in der BRD zu sehen sein. Das Script ist Ergebnis einer kleinen Friedenskonferenz. Mit jüdischen und palästinensischen SchreiberInnen hat sich Mime Troupe -Dramaturgin Joan Holden zusammengesetzt, um die verschiedenen Sichtweisen zu dramatisieren.

Seeing Double propagiert die Zweistaatenlösung Arafats und thematisiert Widersprüche der jüdisch-amerikanischen wie der palästinensisch-amerikanischen Gesellschaft. Personfiziert ist das Drama in den Söhnen der zweiten Generation: der eine mag den Leidensmythos nicht hören und spielt den California Sunny Boy, der andere, der Sinn -Sucher, überhöht den Leidensmythos. Es gibt kein Happy-end

-und doch ist es ein Vergnüngen. Das Mime Troupe-Ensemble verfügt über Entertainer-Talente, die scharfsinnig und gewitzt dieses pathetische Handlungsknäuel in eine temporeiche Verwechslungskomödie verpacken. Es tauchen alle Stereotypen auf, die etwas zum Thema zu sagen haben: der Terrorist, die Campus-Revoluzzerin, das Militär, Mitglieder aller politischer Couleur der verschiedenen Gemeinden der Westbank; insgesamt 32 Charaktere, die von acht Schauspielern dargestellt werden.

Der Mime-Troupe-Stil ist auf Unterhaltung angelegt, die Commedia dell'Arte wird unbedenklich mit anderen populären Formen wie Musical oder Melodrama vermischt. Nicht zu vergessen ist die vierköpfige Band, die Stimmungen wie aus dem Handgelenk erzeugt, wichtige Unterhaltungseffekte liefert und vor jeder Show eine halbstündige Jazz-Session zur Einstimmung des Publikums spielt.

Als einen „kulturellen Schatz der fortschrittlichen Gemeinde“ betitelte San Franciscos Wochenzeitung 'The Guardian‘ die Mime Troupe. Ihre Geschichte ist der Gruppe ein gutes Rückgrat, vier der zehn Trouper (Dan Chumley, Regie; Joan Holden, Dramaturgie; Sharon Lockwood, Schauspielerin; Arthur Holden, Schauspieler) sind schon zwanzig Jahre dabei. Es ist ein harter Job, und das Überlebensgehalt von 250 Dollar die Woche ist knapp; das sind Bedingungen, die eine Fluktuation außerhalb des alten Kerns begünstigen. Aber gerade die Fluktuation erhält die Truppe wohl lebendig - hoffentlich noch lange.

Renate Heitmann

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen