: Der unheimliche Huster von Bercy
■ Boris Becker besiegt John McEnroe im Halbfinale des Grand-Prix-Turnieres von Paris mit 7:6, 3:6, 6:3
Berlin (taz) - Was bislang niemandem gelungen ist: Boris Becker sein nervöses Hüsteln vor nahezu jedem Aufschlag abzugewöhnen, John McEnroe könnte es schaffen. Tags zuvor hatte der stets zu Missetaten aufgelegte 30jährige Amerikaner den blonden Deutschen noch als net
ten Burschen gelobt, im Halbfinale des Turnieres im Sportpalast von Paris-Bercy fiel er dann jedoch erbarmungslos über die kleinen psychischen Gebrechen seines Gegners her. Immer wieder störte er dessen Konzentration, indem er, wenn Becker gerade zum Aufschlag ausholen wollte, plötzlich in gotterbärmliches Hüsteln ausbrach und das Publikum mit diesen parodistischen Einlagen zu Lachstürmen hinriß. Beckers schüchterne Rechtfertigungsversuche, er könne doch nichts dafür, schnitt McEnroe grob ab: Der mache das nun schon seit drei Jahren. das könne nicht daran liegen, daß es ihm schlecht gehe, das sei Taktik. Dem verschüchterten Bub aus Leimen war fortan bei jedem Service anzusehen, wie sehr er sich mühte, jeden Hustenanflug im Keim zu ersticken, was McEnroe mit sardonischem Grinsen zur Kenntnis nahm.
Trotz dieses Psychogeplänkels entschied Becker den Tiebreak des ersten Satzes für sich, also griff McEnroe, der in Paris mit einer Kurzhaarfrisur antrat, die er sich geradewegs von Carl-Uwe Steeb abgeschaut haben könnte, ein zweites Mal in die Trickkiste. Als Becker beim Stande von 1:2 aufschlagen wollte, stand der Mann aus New York stocksteif wie ein Schrubber an der Grundlinie, offensichtlich unwillig, sich jemals zum Return zu postieren. Höflich, wie es sich für einen Leimener gehört, wartete Becker, bis dem Schiedsrichter der Geduldsfaden riß und er McEnroe eine Rüge erteilte. Der explodierte wie eine Raumfähre, behauptete dreist, er sei die ganze Zeit spielbereit gewesen, verlangte nach dem Oberschiedsrichter und war erst nach sechsminütigem Palaver willens, das Match wieder aufzunehmen. Er gewann den Satz mit 6:3.
Ein einziges verlorenes Aufschlagspiel McEnroes entschied schließlich im dritten Durchgang dieses nicht nur verbal hochklassige Match.
Bei Beckers Matchball zum 6:3 beging McEnroe den letzten seiner gelegentlichen leichten, tobsuchtsträchtigen Fehler, und plötzlich waren die beiden wieder ein Herz und eine Seele. Im Finale (nach Redaktionsschluß) durfte der Weltranglistenzweite dann wieder nach Herzenslust husten.
Er hatte gegen Stefan Edberg anzutreten, und dem würde es wahrscheinlich nicht mal etwas ausmachen, wenn Becker übers Netz kotzen würde.
Matti
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