: Gespenst im TV-Schlaraffenland
■ In Belgiens vielfältiger Rundfunklandschaft gibt es einen Zensurskandal
Was darf's denn sein? Ami-News von CNN oder Briten-Pop mit MTV, rund um die Uhr, La Demonica Sportiva, also Sport am Sonntag auf RAI uno, Pinup Club von Holland 2 (natürlich sind auch Holland 1 und 3 zu kriegen), anständige Nachrichten von BBC 1 oder fetzige Reiseberichte auf BBC 2; dreimal deutsches Fernsehen (ZDF, ARD und WDR) für die, die es betulich langweilig mögen, oder drei französische Programme, direkt aus Paris, und nicht zu vergessen noch SKY und SUPER-Channel, die bestimmte Kabelgesellschaften ebenfalls im Angebot haben. All das kommt in über 90 Prozent aller belgischen Haushalte alltäglich aus der Kabelbuchse auf den Flimmerschirm.
Trotzdem schauen die meisten Belgier am liebsten bei den eigenen vier Sendern fern, bis vor einigen Jahren waren es sogar nur zwei: jeweils eine öffentlich-rechtliche Rundfunk und Fernsehanstalt für Wallonen und Flamen, die beiden größten der drei Sprachgemeinschaften, die sich das Land teilen.
Die beiden Platzhirsche haben in den letzten Jahren allerdings ganz gehörig Konkurrenz bekommend. Zuerst von den sogenannten freien Radios, deren Betriebe sich jedoch recht schnell von basisdemokratischen Medienerneuerern zu kommerzbewußten Geldververdienern mauserten. Den Hörern scheint's nicht zu gefallen, denn immer mehr finden wieder zurück zu den mittlerweile etwas aufgemotzten staatlichen Sendern. Schwerer haben es da die Fernsehanstalten. Denn an beiden Seiten der Sprachgrenze laufen die Zuschauer scharenweise zu den zwei Privaten über. RTL (die aus Luxemburg) in der Wallonie und VTM (Vlaamse Televisie Maatschappij) in Flandern versorgen ihre stetig wachsende Zuschauergemeinde mit viel Werbung, Ratespielen und Shows, einem recht passablen Filmangebot und unzähligen amerikanischen Seifenopern.
Seit zwei Wochen geistert nun ein Zensurgespenst durch die belgische Fernsehlandschaft. Worum ging es? Um hiesige Parteien und deren Geldbeschaffungsmethoden, ein Politthriller, dessen sich das RTBF-Magazin Au nom de la loi (Im Namen des Gesetzes) angenommen hatte. Herausgefunden hatten die Redakteure, daß gewisse Meinungsforschungsinstitute als Gegenleistung für ministerielle Umfrageaufträge die Wahlkampfspesen ihrer Gönner teilweise übernehmen. Die Kosten für die betreffenden Enqueten wurden entsprechend höher angesetzt, und so konnten staatliche Gelder über den Umweg dieser Institute illegal in die Wahlkampfkassen prominenter Politiker fließen.
Ans Licht kamen diese Praktiken, als vor einigen Wochen Camille Javeau, bis dahin Direktor von INUSOP, ein der sozialistischen Partei nahestehendes Meinungsforschungsinstitut, wegen Urkundenfälschung, Geldunterschlagung und Betrugs festgenommen wurde. Javeau gestand, mit INUSOP-Geldern sei unter anderem der Wahlkampf des amtierenden belgischen Verteidigungsministers Coeme mitfinanziert worden, was der natürlich gleich dementierte. Gezeigt werden sollte die Sendung ursprünglich am 25.Oktober. Aber im gerichtlichen Eilverfahren setzte Hauptaktuer Javeau die Nichtausstrahlung mit dem Argument durch, das Programm schade seiner Verteidigung: in Belgiens Pressegeschichte ein einmaliger Vorgang. Wo bliebe denn da die verfassungsmäßig garantierte Pressefreiheit, ging es wie ein Aufschrei durch alle Medien des Landes. Ein frappanter Fall von Zensur, urteilte der Journalistenverband. Im belgischen Grundgesetz sei verankert, daß die Pressefreiheit über den Individualrechten stehe, und jeder, der sich von den Medien geschädigt fühle, könne sowieso gerichtlich eine Gegendarstellung einklagen. Dieser Grundsatz wurde im vorliegenden Fall offensichtlich mißachtet.
Am vergangenen Freitag wurde der umstrittene Beitrag dann doch gesendet, nachdem er zuvor vom Gericht und dem Betroffenen begutachtet worden war. Camille Javeau distanzierte sich aber von dem Beitrag, was in den Fernsehnachrichten prompt erwähnt wurde. Sollte sich diese Praxis in Zukunft einbürgern, dann ist es mit der Pressefreiheit hierzulande nicht mehr weit her. Schließlich würde das im Klartext bedeuten, daß Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen immer erst den Betroffenen die geplanten Berichte vorzulegen hätten, sobald mehr oder weniger Kontroverses auf der Tagesordnung steht.
Klaus Haas
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