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IMPOTENTE MÖRDER

 ■  Der Massenmord als schöne Kunst betrachtet

DDer gute Mensch aus dem Bundespräsidialamt hat sich zum „Soldatenurteil“ zu Wort gemeldet: In einem Brief an den Arzt Peter Augst, der Soldaten als „potentielle Mörder“ bezeichnet hatte und von einem Frankfurter Gericht zweimal freigesprochen wurde, vertritt Richard von Weizsäcker die Ansicht, mit dieser Äußerung werde die Grenze zwischen Meinungsfreiheit und Beleidigung überschritten.

Den ersten Freispruch im Dezember 1987 hatte der Bundespräsident als „unverständlich“ kritisiert, auf einen Brief von Augst, der durch diese Äußerung sein Revisionsverfahren belastet sah, antwortete Weizsäcker: „Intensiv habe ich über das nachgedacht, was Sie zur Meinungsfreiheit geschrieben haben. Sie ist ein kostbares Gut. Man muß um ihretwillen bereit sein, in der öffentlichen Auseinandersetzung auch harte Worte und Angriffe zu ertragen. Daß die Meinungsfreiheit nicht jede Schmähung rechtfertigt, gehört ebenso zu unserem Recht und Rechtsempfinden. Die Grenze zu ziehen ist überaus schwierig. Nach meinen Empfindungen haben Sie sie mit ihrer Äußerung...überschritten.“

Verglichen mit der Empörung anderer Politiker angesichts dieses Urteils ist das, weizsäckertypisch, sehr vornehm und subtil ausgedrückt - militärgeile REPs und Christsoziale wüteten schaumtriefend gegen das „Schandurteil“, und auch Sozis und Liberale lieferten erregt militaristische Bonmots, wie etwa Otto Graf Lambsdorff, der darauf hinwies, daß es sich bei der Bundeswehr schließlich um die friedliebendste deutsche Armee aller Zeiten handele.

Daß angesichts der deutschen Wehrmacht selbst eine Legion professioneller Mafia-Killer wie ein pazifistsiches Kaffekränzchen wirken muß, ist dem FDP-Chef offenbar entgangen, doch auch von Weizsäcker muß sich fragen lassen, welches Vakuum sein silbergelocktes Humanistenhirn durchwehte, als er über die Grenze zwischen Meinungsfreiheit und Beleidigung „intensiv...nachgedacht“ hat. Denn es bedarf keineswegs intensiver Grübelei, sondern nur der allersimpelsten Logik, um in diesem Fall zu einer absolut unzweifelhaften und wahrhaft bombenfesten Erkenntnis zu kommen: Peter Augst hat den Potentialis gebraucht, hat nicht von Mördern, sondern von möglichen Mördern gesprochen - der mögliche Mord aber ist die conditio sine qua non des Militärs, ein Soldat, der nicht zu Mord und Totschlag fähig ist, ist kein Soldat.

Wie kann einer „aufgeklärten“ Öffentlichkeit - und selbst die dumpfsten Volksvertreter reklamieren ja für sich, das Mittelalter längst überwunden zu haben - wie kann einem durchweg als Ethik- und Moral-Champion verehrten Staatsoberhaupt ein derart simpler Schluß, eine so schreiende Selbstverständlichkeit, entgehen? Wie können sich Militärs davon beleidigt fühlen, wo doch auf der Hand liegt, daß Soldaten als impotente Mörder ein Paradox sind, und Kanonen, denen die Potenz zu Mord und Totschlag abgeht, so überflüssig wie Butter in der Sonne? Werden etwa weltweit 800 Milliarden Dollar per anno für potemkinsche Hochrüstung ausgegeben? Natürlich nicht, der Ernstfall ist kein Kulissenzauber, die Theater-Waffen sind hundertprozentig tödlich. Woher rührt also die stürmerhafte bis subtile Entrüstung über das Frankfurter Urteil? Es kann nur daran liegen, daß die zugrundeliegende Ethik und Moral verfault und verlogen ist, wie tief, das hat Wolfgang Neuss - leider nicht in der Talkshow mit Richard von Weizsäcker, sondern an anderer Stelle - mit unerreichbarer Präzision so ausgedrückt: „Du sollst nicht töten, aber abschrecken darfste!“ Solange Pfaffen weiter Waffen segnen und ehemalige Kirchtagspräsidenten den Massenmord als schöne Kunst betrachten, ist dem nichts weiter hinzuzufügen.

Mathias Bröckers

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