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RWE-Atom statt RWE-Amok?

Ein Buch über Fußball-Legenden und ein Disput über das unsägliche Kicker-Elend der Jetztzeit  ■  WIR LASSEN LESEN

Spät am Abend, nach dem ca. sechsten Pils, hatte Peter Neururer die Lösung parat. RWE solle doch RWE sponsern, sagte der leutselige Trainer des FC Schalke 04. Also Kohle vom heimischen Energiemulti für die Abkürzungsvettern von Rot-Weiß Essen. Neururers spontane Alkoholidee war der letzte Diskussionsbeitrag in Essens Kulturzentrum Zeche Carl, wo am Donnerstag Ballkundige Antworten zu finden trachteten auf die große Herausforderung der Branche: „Wohin rollt der Ball?“ Eine stets offene Frage, zu der uns bekanntlich auch Herbergers Sepp -leider - nur seine berühmte runde Zustandsbeschreibung hinterlassen hat. Anlaß zum Disput waren die Rollereien der Lederkugel in ihren ersten zehn Bundesligajahren, über die jetzt ein hübsches Buch Auskunft gibt. Es führt mit seinem Titel Als die Ente Amok lief gleich zurück zu Rot-Weiß Essen und seinem unübertroffenen Rasen-Zerberus Willi „Ente“ Lippens. Klar, daß nur er Titelfigur eines legendenschwangeren Fußballgeschichtsbuches sein kann. Klar, daß in der Aufbereitung seines Werdeganges als Watschelgänger alle grandiosen Anekdoten und Großtaten des holländischen Fummelgurus noch einmal komprimiert komponiert werden, sozusagen als ultimative Enten-Verklärung. Auch sein heutiges Wirken als Bottroper Bio-Bauer wird auf dem Landsitz „mitten im Pott“ ausgebreitet. Früher, als Gemüsehändler in Essen, beförderte er die Kohlköppe für die Pressefotografen per Fallrückzieher ins Regal, heute posiert er vor der Ökoenten-Oase und berichtet davon, daß er als Landesliga-Trainer 20 Mark Strafe anordnet, wenn einer der Spieler mit FCKW-Deos ertappt wird.

Klar, daß es solche genialen Gestalten, die den Ball vorzugsweise mit dem Hintern stoppten und Kopfballtore im Handstand versuchten, heute nicht mehr gibt. Statt dessen, so die feine Formulierung von Borussia Dortmunds Präsidenten Dr. Niebaum, erleben wir „elf Einzelunternehmer, die nur auf Gewinnmaximierung aus sind“. Bleiben wir also lieber dabei, wie rund der Ball früher einmal rollte, in der fleißig nachrecherchierten, immer auch mit der nötigen Distanz betrachteten Welt der Emmerich-Gecks-Kobluhn-Nuber-Manglitz -Kremers-Kremers-Radenkovic-Cebinac-Kurrat und Co.

Lesen wir auch, wie der 1860er Brunnenmeier und Schalkes Libuda beide im Leben nach dem Fußball grausam scheiterten, von den vielen Lotto-Toto-Annahmestellen-Karrieren danach und wer der erste Werbeträger im Bundesliga-Busineß war: Horst Köppel, als er für den VfB Stuttgart mit Toupet stürmte, das ihm Sepp Maier von Kopf zupfen wollte, Köppel dann bald jedoch selbst abnahm und die Tantiemen zurückzahlte: Der Haarschmuck war ihm zu heiß fürs Ballgeschäft.

Auch Diskutant Rolf Rüßmann war am überzeugendsten, als er von früher plauderte. Die Geschichte, als sein Schalker Kollege Rüdiger Abramczik („Der Flankengott“) einmal Verteidiger gegen Schorsch Volkert spielen mußte. Der bat den mit irdischem Geist mäßig ausgestattenen Abi, ihm doch mal den Wasserschwamm zwecks kameradschaftlicher Erfrischung zu holen. Abi tat wie ihm geheißen, nur Volkert war längst auf dem Weg zum erfolgreichen Torschuß. Rüßmann: „Da bin ich bald wahnsinnig geworden.“

Warum heute alles so anders ist? Zur 68er Zeit, analysieren die Autoren, habe es angefangen: „Die Haare wurden länger, die Pässe kürzer.“ Taktik, Disziplin, Manndeckung, Dribblingverbot - Klaus Zaczyk (HSV) erzählt heute, wie er damals Gladbachs Hacki Wimmer abschirmen sollte: „Wir sind pro Halbzeit 15 Kilometer gerannt und hatten höchstens drei Ballkontakte.“ Das galt als taktisch höchst effizient, nur, so Zaczyk, habe er später „nicht mehr den Ball, sondern nur noch Rückennummern gesehen“. Einer, der auch oft anderes als den Ball im Visier hatte, war der Herr Katsche Schwarzenbeck. Seine Vita fehlt leider auch in diesem Buch. Ist des Kaisers grobschlächtiger Kronprinz denn auf keiner Alm aufzutreiben? - will wissen:

Bernd Müllender

Ulrich Homann/Ernst Thoman: Als die Ente Amok lief.

Klartext- Verlag, Essen 1989, 180 S., 34 DM

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