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Sportspektakel als politische Ablenkung

Die VR China knapp ein Jahr vor den Asienspielen: Die alten Funktionäre sind auch die neuen / Boykott droht nicht  ■  Aus Peking Hermann Grau

1989 ist für die Chinesen das Jahr der Jubiläen. Dabei dürfen die Sportler gleich zweimal feiern - am 1. Oktober jährte sich der Tag der „Befreiung“ zum 40. Mal, im November gedenkt man der historischen Entscheidung des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) vor zehn Jahren, die Volksrepublik China wieder in die olympische Familie aufzunehmen, ohne die Taiwan-Chinesen auszusperren. Der Blick ist nach vorne gerichtet.

Nach der enttäuschenden Vorstellung der Olympiamannschaft in Seoul wagt man im Reich der Mitte einen Neuaufbau. Dabei zeigte der ehemalige General und neue Sportminister Wu Shaozu schon während der Demonstrationen im Mai weise Voraussicht. Früh genug warnte er die Parteimitglieder im Staatlichen Komitee für Körperkultur und Sport (SKKS) davor, an den Demonstrationen teilzunehmen. Viele Genossen protestierten damals lautstark gegen die greise Führungsspitze der Partei, was sie anschließend mit Repressionen bezahlen mußten.

Sportler politisch aktiv

Nicht so im SKKS. Kein einziger Spitzenfunktionär verlor seinen Posten. Im Gegenteil - den Sportführern eröffnete sich die Gelegenheit, mit unbequemen Dissidenten endlich abrechnen zu können. Die beiden Sportbücher des Schriftstellers Zhao Yu (Der Traum von der starken Nation, Die Niederlage von Seoul) wurden als konterrevolutionär gebrandmarkt - der ehemalige Rennfahrer aus der Provinz Shanxi muß mit seiner Verhaftung rechnen.

Die Sportler hingegen zeigten sich aktiv und widerlegten das Vorurteil, sie würden regelmäßig als Marionetten der Regierung mißbraucht. Die komplette Basketball -Nationalmannschaft der Männer, die Badmintonspieler und viele Leichtathleten richteten ihren Protest gegen die marode Führung. Auch viele Sportstudenten hielten bis zuletzt durch.

Der Countdown läuft

Die Asienspiele kommen da gerade recht. Sie schaffen Ablenkung in der Hauptstadt und sind keine Veranstaltung der Parteispitze, sondern des ganzen Volkes. Ob auf dem Weg vom Flughafen ins Zentrum Pekings, ob am Arbeiterstadion, in der Eingangshalle des SKKS oder sonstwo in der Stadt - überall werden im Countdown-Verfahren auf riesigen elektronischen Tafeln die Tage bis zu den Asienspielen gezählt: Noch x-mal schlafen... Trotz des hohen Kostenaufwandes (1,3 Milliarden Mark) stehen die meisten hinter dem Sportspektakel.

„Einheit, Freundschaft, Fortschritt“, heißt der Slogan, unter dem China die Jugend Asiens am 22. September 1990 zusammenruft. Das Maskottchen „Panpan“, ein kleiner Pandabär, ist derweil in eine Doppelrolle gedrängt worden. „Pan“ im Chinesischen heißt Hoffnung - nach dem 4. Juni eine eindeutige Botschaft ans Volk, sicherlich nicht im Sinne Panpans von Ziehvätern.

Kaum jemand bezweifelt, daß die Asienspiele zu einem großen Fest werden. Keines der 37 eingeladenen Länder hat einen Boykott der Spiele angedeutet; Taiwan diskutierte nur die Sicherheit der eigenen Sportler. Da die portugiesische Kolonie Macao im Dezember als 39.Mitglied in den Olympischen Rat Asiens (OCA) aufgenommen und auch Peking 1990 teilnehmen wird, demonstrieren die Asienspiele sogar die symbolische Wiedervereinigung Chinas auf dem Sportplatz.

Die Haltung ist nicht neu: Als sich 1986 Asiens Sportler in Seoul zu den Kontinentalspielen trafen, hatten auch alle Nationen (der Westen eingeschlossen) die 2.000 Menschen, die Anfang dieses Jahrzehnts in Kwangju im Kugelhagel südkoreanischen Militärs ihr Leben lassen mußten, vergessen.

Neben dem täglichen Verkehrschaos und ungenügenden Serviceleistungen bereitet die Finanzierung dem Organisationskomitee (OK) noch einiges Kopfzerbrechen. Zwar stehen alle ausländischen Sponsoren zu ihrem Wort (Coca -Cola, American Express, Fuji u.a.), doch bleibt ein Loch von ungefähr 200 Millionen Mark; das Defizit muß die Staatskasse decken. Trotz großer Mängel bei der Versorgung mit Rohstoffen und Baumaterialien in China werden die Asienspiele nicht angetastet. Das Sportereignis besitzt höchste Priorität.

Warum mißt die Regierung dem Sport eine so große Bedeutung bei? Daß Sport kein unpolitisches Eigenleben führen kann, hat man im Westen zwar lange geleugnet, doch spätestens nach den Boykotts der Olympischen Spiele 1980 und 1984 haben selbst die letzten Idealisten die Realität akzeptieren müssen. In China dient der Sport seit 1949 vor allem zwei Zielen:

-Zum einen konnte China mit internationalen Sporterfolgen in In- und Ausland Anerkennung erringen. Gerade die athletischen Körper vieler junger Sportler des „Neuen China“ zeigten den Kontrast zur überlieferten Bezeichnung „kranker Mann Ostasiens“. Nach der Kulturrevolution verloren viele Jugendliche den Glauben in die Partei. Ohne Zukunftsperspektiven und beschleunigt durch die Entmythifizierung von Mao Zedong suchten viele Ersatz im Sport.

-Zum anderen soll der Spitzensport die Massen zur Körperertüchtigung animieren. Gesunde Bauern arbeiten fleißiger, ernten höhere Erträge und steigern das Volkseinkommen. Als Beispiel wird immer noch der Tischtennis -Boom angeführt, der durch die Erfolgsserie von Rong Guotuan und Zhuang Zedong vor 30 Jahren ausgelöst wurde.

Südkorea als Meßlatte

Daß Sportfans Niederlagen wie in Seoul bei den Olympischen Spielen (nur fünf statt den erwarteten 15 Goldmedaillen) als nationale Katastrophe einschätzen, erscheint plausibel, auch wenn Sportminister Wu Shaozu und der Präsident des NOK, He Zhenliang, dies abstreiten. Jetzt will sich der Pressechef des OK für die Asienspiele, Wu Zhongyuan, dafür einsetzen, daß es in den chinesischen Medien nicht wieder zur Selbstüberschätzung kommt. Eine Niederlage gegen das kleine Südkorea hätte dennoch schlimme Folgen für den Sport und die Funktionäre. Um sich von vornherein abzusichern, hat man unter anderem die koreanische Sportart Taekwondo zugunsten des chinesischen Wushu (Kungfu) aus dem Programm gestrichen.

Europäisierung des Sports

Für die Zukunft werden solche Maßnahmen allein jedoch nicht mehr ausreichen. In diesen Tagen trifft sich in einem abgelegenen Dorf in Südchina die gesamte Sportprominenz, um über eine weitere Etappe der Reform des Sportsystems zu diskutieren. Vor 40 Jahren war Chinas Sport auf den sowjetischen Erfahrungen und dem System der Armee erfolgreich aufgebaut worden. Doch einschneidende Veränderungen lassen sich heutzutage nicht mehr aufschieben. Nachdem schon eine Konzentration auf die olympischen Sportarten beschlossen wurde, gilt nun vor allem der punktuellen Einführung des europäischen Vereinssystems und einer Lotterie nach westdeutschem Vorbild das Hauptaugenmerk.

Trotz offizieller Ablehnung des Professionalismus sind die Unterschiede zwischen dem Sport im Reich der Mitte und den westlichen Ländern kaum mehr zu erkennen.

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