: Haschemitenkönig Hussein läßt wählen
Erste Parlamentswahlen in Jordanien seit zwanzig Jahren / Finanz- und Sozialkrise steht im Vordergrund / Moslembrüder chancenlos ■ Von Walter Gebhard
Berlin (taz) - Vor acht Wochen kaum vorstellbar, vor vier Wochen vorsichtig begonnen und heute um Mitternacht nach stürmischen Debatten beendet: Wahlkampf in Jordanien. Nur Optimisten hatten geglaubt, daß König Hussein wirkliche politische Auseinandersetzungen und die Kandidatur von Radikalen aus allen Lagern für die morgigen Wahlen zulassen werde. Aber allen Unkenrufen zum Trotz wurden am 17. Oktober 662 Bewerber für die 80 Parlamentssitze zugelassen und nur sieben zurückgewiesen.
Kommunisten, Baathisten, Nationalisten und religiöse Hardliner, deren Parteien seit 1957 verboten sind, begannen sofort mit ihrer Propaganda. Seither gibt es im Königreich keine Straße, über die nicht die Banner mit Wahlversprechen gespannt sind, und kaum ein Schaufenster, das nicht mit den Konterfeis von mindestens fünf Kandidaten dekoriert ist.
Dominierten zu Beginn staatstragende Parolen, so eskalierten die Aussagen innerhalb weniger Tage: „Bringt das gestohlene Geld aus dem Ausland zurück“, „Kampf der Korruption“ und „Befreit Jerusalem“ waren Forderungen, mit denen der Wahlkampf radikalisiert wurde. Inflation und die dramatische Verschlechterung der sozialen Verhältnisse stehen seither im Vordergrund. Moslembrüder, Nationalisten und Linke treten gegen das Diktat des Internationalen Währungsfonds (IWF) auf, das von der Regierung peinlich genau eingehalten wird, und fordern Lohnerhöhungen sowie die Schaffung von Arbeitsplätzen.
Mit einer Revolte hatten die Bewohner der Provinzstädte im Süden des Landes im April auf von der Regierung verfügte Preiserhöhungen reagiert. In den Hochburgen der für königstreu gehaltenen Beduinenstämme war der Protest ausgebrochen und hatte die Monarchie in ihren Grundfesten erschüttert. Hussein ersetzte im Amte des Ministerpräsidenten seinen alten Jugendfreund und Vertrauten Zayid Rifai, der wegen Verwicklungen in Mißwirtschafts- und Korruptionsaffären einen legendären Ruf genießt, durch seinen Vetter, Generalstabschef Sharif Zeid Bin Shaker. Gleichzeitig stellte der 53jährige Monarch, der den Thron bereits 1952 bestieg, erstmals seit 1967 die Abhaltung von Wahlen in Aussicht. Politische Entlastung kann eine Wahl nur bringen, wenn auch Oppositionskandidaten antreten dürfen, darüber waren sich Beobachter schnell einig.
Hier bewies Hussein, daß er nicht nur ein guter außenpolitischer Taktiker ist. Der Schachzug, alle Oppositionskandidaten zuzulassen, birgt gleich mehrere Vorteile. Die Verantwortung für Krisenbewältigung kann auf mehrere Schultern verteilt werden. Gleichzeitig kann er dem Ausgang des Experiments Wahlen mit Ruhe entgegensehen. Denn seine unbegrenzte Machtfülle gestattet ihm, die genauen Kompetenzen des künftigen Parlaments erst nach Bekanntwerden des Wahlergebnisses zu definieren.
Das Ergebnis dürfte ihm keine schlaflosen Nächte bereiten. Denn das Kalkül, die Oppositionskandidaten würden sich gegenseitig schwächen, scheint aufzugehen. So bewerben sich in einem der Wahlbezirke Ammans z.B nicht nur Baathisten, Nationalisten und Moslembrüder, sondern auch gleich zwei Männer aus dem Umfeld der kommunistischen Partei. Die mächtigen Stämme, die früher nur jeweils einen Vertreter ins Rennen geschickt hatten, treten jetzt gleich mit mehreren Kandidaten an.
Einzig die Moslembrüder sind nicht nur gut organisiert, sondern haben auch bei der Aufstellung ihrer Kandidaten Disziplin bewiesen. 26 Brüder treten landesweit im Namen der Partei an, 15 weitere erhalten Unterstützung. Mit der Parole „Islam ist die Lösung“ werden die Religiösen vor allem in den Vorstädten der Armen erfolgreich sein. Aber Beobachter rechnen nur mit zwanzig Prozent der Sitze für die selbsternannten Söhne des Propheten. Mit den Moslembrüdern kann Hussein schon seit Jahren gut leben. Ihnen fehlt die Radikalität ihrer ägyptischen und syrischen Brüder und sie müssen Rücksicht auf Anhänger nehmen, die im Staatsapparat zu Amt und Würde gekommen sind. Daß religiöse Fanatiker gegen eine der zwölf weiblichen Kandidatinnen vor dem religiösen Gericht des Landes Anklage erhoben haben, weil sie gegen Polygamie, Frauenunterdrückung und Kindesmißhandlung auftritt, dürfte sich sogar als Bumerang erweisen. Das Verfahren, in dem die Zwangsscheidung der Kandidatin durchgesetzt und ihre Vogelfreiheit festgestellt werden sollte, hat Unwillen bei den meisten Wählern ausgelöst und die Brüder in Mißkredit gebracht. Da Anhänger der Regierung von der Zersplitterung der Opposition profitieren werden, braucht der König das neue Parlament nicht zu fürchten.
So ist weniger der Ausgang der Wahlen spannend, sondern vor allem die Frage, ob der sechswöchige Wahlkampf den Auftakt einer weitgehenden Demokratisierung Jordaniens bilden wird oder letztlich nur als Schauspiel geplant ist, mit dem der König seinen Untertanen demonstrieren will, daß sich Meinungsvielfalt nicht auszahlt und das Land sogar ins Chaos führen könnte.
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