piwik no script img

Alle liebten Horowitz

■ Der 86jährige Pianist Vladimir Horowitz starb am Sonntag

„Alle haben plötzlich so seltsame Augen“, „Demo für Horowitz“, „Diese Hände“ - so und ähnlich lauteten die taz -Überschriften im Frühjahr 1986. Im Horowitz-Fieber war seinerzeit nicht nur die Kulturschickeria: Gerade die sonst der E-Musik so entschieden abholde „Szene“ von Berlin -Kreuzberg bis Hamburg-Altona erstarrte in Ehrfurcht vor dem letzten Comeback des Pianisten mit den „wundervollen Greisenhänden“. Und die Schlange vorm Berliner Konzert -Kartenbüro war über 400 Meter lang.

Was aber auf den Tonträgern, in Philharmonien und Musikhallen von dem damals 82jährigen zu hören war, klang keineswegs so unerhört: elegant-kitschiger Bach, Scarlatti, als sei er ein Spätromantiker, Chopin bloß heiter, und alles ganz kurz. Auf seine alten Tage mochte er am liebsten Drei-, Vier-Minutenstücke - die Klaviermusikgeschichte im Schnelldurchgang. Schon als Teenie hatte er auf einer Rußland-Tournee alleine in Leningrad 23 Konzerte gegeben, ohne sich ein einziges Mal zu wiederholen. Keine Ahnung, wie Horowitz früher spielte: Seine letzten Auftritte jedenfalls zeugten eher davon, daß einer, der soviel Musik intus hat, es mit den einzelnen Tönen nicht mehr so genau nimmt. Der greise Horowitz war ein Musiker, der sich verspielte, so wie Schriftsteller sich ihrer Kunst verschreiben.

Begonnen hat seine Karriere 1917 in Kiew. 1925 verläßt er die Sowjetunion „zu Studienzwecken“ und lebt fortan im Westen. 1928 tritt er in der Carnegie-Hall auf, die Kritik schreibt von einem „Naturereignis“. 1933 heiratet er Wanda Toscanini, die Tochter des italienischen Dirigenten, und tourt zusammen mit dem Schwiegervater durch die Welt. 1953 zieht er sich vor Erschöpfung zum ersten Mal zurück und muß sich in einer Nervenklinik behandeln lassen. Zwölf Jahre später feiert er sein erstes „triumphales“ Comeback.

Am Sonntag starb der verschmitzte alte Herr in seiner Wohnung in New York. Die Agenturen schreiben, es sei das Herz gewesen.

chp

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen