piwik no script img

Dioxinverseuchte Milch in Iserlohn gefunden

■ Die Milch von Kühen in der Umgebung einer Müllverbrennungsanlage in NRW überschreitet selbst den Grenzwert des Bundesgesundheitsamtes um das 25fache / Behörden wiegeln trotzdem ab / Müllverbrennungspolitik hat Vorrang

Essen (taz) - Eine extrem hohe Dioxinkonzentration hat das Münsteraner „Institut für Arbeitsplatz- und Umweltanalytik“ in einer Rohmilchprobe von Kühen festgestellt, die nur wenige hundert Meter entfernt von der Müllverbrennungsanlage (MVA) in Iserlohn auf der Weide gehalten werden. Im Auftrag der Stadt Iserlohn ermittelte das Institut 2,48 Nanogramm (ng) Sevesogift-Äquivalent pro Kilogramm Milchfett.

Selbst nach den bereits extrem hoch angesetzten Grenzwertempfehlungen des Bundesgesundheitsamtes (BGA) würden Säuglinge mit einem Liter Iserlohner Dioxinmilch das zweieinhalb- bis 25fache dessen aufnehmen, was als tolerabel gilt. Geht man jedoch nach den Empfehlungen der hessischen Landesanstalt für Umwelt (HLAU), werden in einem Liter Milch für Säuglinge die Grenzwerte um das 250- bis 2.500fache überschritten, für ausgewachsene Männer immerhin noch um das 15- bis 150fache. Nach der gültigen US-Norm von 0,008 Pikogramm (pg) pro Körpergewicht und Tag, dürfte kein Kleinkind die Milch trinken, die die Iserlohner Kühe geben: es würde mit einem Liter 3.100mal soviel von dem krebserregenden Ultragift geliefert kriegen, wie für unbedenklich gehalten wird.

Der Märkische Kreis, in dessen Zuständigkeit der Dioxinfund fällt, wurde am 10. Oktober informiert. Zwei Tage später gab er Entwarnung, „da auf der Grundlage vorhandener Kenntnisse eine Gesundheitsgefährdung durch den Verzehr der Milch nicht vorliegt“. Gegenüber der taz berief sich der Leiter der Lebensmittelüberwachung, Dr. Klemm, auf entsprechende Einschätzungen beim Bundesgesundheitsamt und beim nordrhein -westfälischen Umweltministerium.

Für die nordrhein-westfälischen Grünen ist der Zusammenhang zwischen dem hohen Dioxinfund und der Iserlohner Haus- und Industriemüllverbrennungsanlage offensichtlich. Die NRW -Landesanstalt für Immissionsschutz (LIS) ermittelte bei Messungen von MVA-Filterstäuben bereits 1985 in den Filterstäuben der Iserlohner Anlage, die seit den 70er Jahren in Betrieb ist, die landesweit höchsten Dioxinwerte. Das eigentliche Problem ist nach Auffassung der Grünen jedoch, daß sich hohe Dioxinvergiftungen überall in industriellen Ballungsgebieten feststellen lassen. 1986 veröffentlichte die LIS eine Untersuchung, in der vor allem das Ruhrgebiet und der Kölner „Chemiegürtel“ als Dioxinregionen ausgemacht wurden. Verursacher sind neben den MVAs der Straßenverkehr, die Chemieindustrie und Industriefeuerungen. Daß das neue Dioxin-Meßprogramm, das der nordrhein-westfälische Umweltminister Mathiessen im Oktober angekündigt hat, hier ansetzt bezweifeln die Grünen.

Vor dem Hintergrund ihrer Müllverbrennungsvorrangpolitik habe die Landesregierung die Dioxinproblematik in den letzten Jahren, in „unerträglicher Weise verharmlost“. Auch die neue Untersuchung lasse keine Abkehr von diesem Weg erkennen.

bm

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen