Cash, Quoten und Ideologie

■ „Freitagspremiere“ als Konkurrenz zum Krimi / ARD will lieber finanzieren

Eine Jahrespressekonferenz ist nicht gerade der Ort, an dem mit dialektischer Feinmechanik Perspektiven des öffentlich -rechtlichen Fernsehwesens diskutiert oder Problemfelder erörtert werden. Statt dessen brillierte die ARD -Filmredaktion mit den gewohnten wortkosmetischen Bezeugungen bester Absichten und Vorhaben. Deutlich herauszuhören der verstärkte Akzent auf den Wettbewerb. So wurde ein neuer Sendeplatz, die dreiwöchentliche Freitagspremiere, angekündigt, an dem mit Erstausstrahlungen vorwiegend amerikanischer Spiel- und Fernsehfilme die ZDF-Konkurrenz (Derrick, Der Alte) auf die Plätze verwiesen werden soll.

Herausragender Titel: das bereits unter dem „Namen Um jeden Preis auf Video erschienene amerikanische Miniserial Günstlinge der Hölle, das mit bewunderswerter Detailgenauigkeit die verzweigten Mechanismen amerikanischer Wahlkampfmanipulationen darstellt.

Neun Spielfilmreihen setzen die ARD-Tradition fort, Repertoireprogramm mit thematisch passenden Erstaufführungen zu erweitern. Die Reihe tschechoslowakischer Filme, die keinen Anspruch erhebt, einen Überblick über die aktuelle Filmsituation des Landes zu geben, glänzt durch den vielversprechenden Jiri-Menzl-Titel Ende der alten Zeiten.

Der kurvenreichen Lana Turner, einem perfekten „Produkt der Traumfabrik Hollywood, ist zu ihrem 70.Geburtstag eine weitere, sieben Filme umfassende Reihe gewidmet (immerhin ein Douglas-Sirk-Titel darunter). Eine Etage höher ist die knapp mit „Ausländer“ überschriebene Reihe angesiedelt, die Juwelchen wie Mehedi Charefs Tee im Harem des Archimedes einschließt, leider auch prätentiöse Flops wie Stephen Frears Mein wunderbarer Waschsalon. Schließlich haben die Engländer, wie eine weitere Reihe „Neues vom britischen Kino“ zeigt, mehr zu bieten als Luschen wie Stephen Frears und Niel Jordan. Kenn Russel, Altmeister für opulente Geschmacklosigkeiten, bringt mit seinem turbulenten Schauerromantik-Ballett Gothic schon eher die Gemüter in Wallung.

Höhepunkt der Reihe „Woche der Dritten Welt“ ist zweifellos „Mira Nairs faszinierendes Kinodebut Salaam Bombay, das mit an Chris Marker erinnernder Schärfe den täglichen Überlebenskampf indischer Slumkinder vorführt.

Bereits im Januar 1990 startet die ARD mit drei deutschen Erstaufführungen aus Taiwan; die Titel der „Hongkong- sowie die auf Widerspiegelung aktueller Entwicklungen abzielenden Sowjetunion-Reihe stehen noch nicht fest. Überzeugen kann Isabelle Huppert in Chabrols Eine Frauensache und Chris Menges angenehm unprätentiöses Anti-Apartheids-Drama Zwei Welten.

Klingt bis hierhier alles ganz gut. Wer allerdings etwas über die Tradition der Öffentlich-Rechtlichen als kulturelles Bollwerk gegen die lukrative Verdummung durch die Privaten erfahren wollte, mußte auf den Busch klopfen. So wurde die Frage nach einem Sendeplatz für Dokumentarfilme mit dem dialektischen Kurzschluß beantwortet, daß hierfür kein Publikum existiere. Die passende Antwort eines Kollegen, das Publikum für Dokumentarfilme könne natürlich nicht ohne Sendeplatz für Dokumentarfilme existieren, ging dann auch im Gelächter unter. Für Belustigung sorgte auch die Vorstellung des schon letztes Jahr angekündigten ARD -Filmmagazins 'Luna‘, das demnächst, von einer Puppe namens „Oskar“ ein- und ausgeführt, im bayrischen Dritten starten solle, handele es sich doch „weniger um ein Cineasten- als um ein Unterhaltungsmagazin“.

Degeto-Chef Heimes, Filmeinkäufer der ARD, der seines Wissens noch nicht beim Filmmogul Leo Kirch eingekauft habe, räumte freimütig ein, daß er dies schon tun würde, wenn es erforerlich wäre. Da erscheint die lobenswerte Tendenz, von großen Paketeinkäufen wegzukommen, indem die Degeto bereits bei der Drehbuchplanung einsteige, ein wenig wie ein Lippenbekenntnis. Die wirtschaftliche Überlegenheit der Privaten zwingt die Öffentlich-Rechtlichen auf einen Kurs, auf dem die „Kultur“ zum Hemmschuh wird, die ARD -Programmkoordinator Oeller auf Umwegen in einem gleißenden Versprecher zu verstehen gab: Auf die Frage nach der Starrheit des Programmschemas bezüglich Dokumentarfilme antwortete Oeller, das Programmschema solle nicht „ideologisch“ sein. Ideologie contra Unterhaltung: Unwirtschaftliches contra Lukratives. Keine weiteren Fragen.

Manfred Riepe