: Kohl im Nebel
■ Neuer Wirbel bei Polen-Besuch: Besuchsprogramm umgeworfen / Tischrede Kohls endete ohne Eklat
Warschau (taz/afp) - Der Besuch von Kanzler Kohl in Polen begann mit Pannen, noch bevor der Regierungschef überhaupt einen Fuß auf polnischen Boden gesetzt hatte. Nach Nebel aus Warschau startete die Kanzlermaschine zunächst nicht. Das gesamte Wochenend-Programm Kohls wurde indes aus einem anderen Grund über den Haufen geworfen. Der Kanzler sollte das ehemalige Konzentrationslager Auschwitz gemäß Absprache zwischen Bonn und Warschau am Sonnabend besuchen - weil aber an diesem Wochentag, dem jüdischen Sabbat, jegliche religiöse Handlungen, auch das Trauern, untersagt sind, sei von jüdischen Stellen in New York Protest angemeldet worden. Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland Galinski, der Kohl begleitet, hatte sich dem Protest offenbar angeschlossen. Der Besuch im ehemaligen KZ wurde nun auf Sonntag verschoben.
In seiner ersten (Tisch-)Rede anläßlich eines Essens hat Bundeskanzler Kohl die Unverletzlichkeit der polnischen Westgrenze gemäß dem Warschauer Vertrag bekräftigt, gleichzeitig aber auf den Vorbehalt eines Friedensvertrages für Deutschland als Ganzes hingewiesen. Kohl würdigte den Reformkurs Mazowieckis. Deshalb sei sein Besuch auch ein „Zeichen der Solidarität“. Die gemeinsame Erklärung, die während des Kohl-Besuchs unterzeichnet werden soll, wertete der Kanzler als „das Kursbuch der deutsch-polnischen Zusammenarbeit für die nächsten Jahrzehnte“. Er würdigte, daß die polnische Seite künftig die Rechte der deutschen Minderheit in der Volksrepublik respektieren wolle. Dazu müsse die Möglichkeit gehören, Gottesdienste in der eigenen Sprache zu feiern.
Kohl ging in seiner Tischrede nicht auf die Bundestagsentschließung vom Mittwoch ein. Er bekräftigte seine Erklärung von 1985, daß in den Gebieten jenseits der polnischen Westgrenze heute polnische Familien lebten, denen diese Landschaften in zwei Generationen zur Heimat geworden seien.
Kohl hat ein umfangreiches Paket von Wirtschaftshilfen im Gepäck - im Mittelpunkt die Umwandlung des „Jumbo„-Kredits in Höhe von rund einer Milliarde Mark aus dem Jahre 1975. Die Gesamtrückstände von 530 Millionen Mark sollen Polen jetzt erlassen werden.
cw
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen