: West-Radler im Egorausch?
■ Mit dem Fahrrad von Friedrichshain-Ost zum ersten Mal auf Radwegen in Kreuzberg-West
Ich wohne in Friedrichshain, fast direkt an der Oberbaumbrücke. Seit drei Tagen ist Radfahren im Westen für mich Normalität - als wäre es schon immer so gewesen. Am Samstag morgen versuchte ich es an der Oberbaumbrücke zum ersten Mal. „Warum nicht?“, sagte der Grepo nur. Also fuhr ich über die Brücke an den Fußgängermassen vorbei, als wäre es auf einem Werksgelände bei Schichtwechsel. Ankunft am Schlesischen Tor. Die Autofahrer stoppen, lassen mich die Spur wechseln. Haben die hier Angst vor Radfahrern - oder sind sie besonders rücksichtsvoll?
In Ost-Berlin sind Radfahrer eine verschwindende Minderheit. Zwanzig Pfennige für einen U-Bahnfahrschein lassen einen nicht gerade aufs Rad umsteigen. Bei uns gibt es zwar 120 Kilometer Radwege, auf denen man aber nicht fahren kann, wenn man sein Rad später noch benutzen will: Überall Müll, Schlaglöcher, geparkte Autos.
Ungeheuerlich fand ich das selbstbewußte Rasen der West -Berliner Radfahrer. Als befänden sich alle im Egorausch. Ich kann nur empfehlen, daß die jetzt alle einmal im Osten fahren. Bei uns guckt keiner nach Radfahrern. Wenn die dann so fahren wie hier, werden sie umgefahren. Ich selbst mußte mich hier dem Radfahrertempo anpassen. Das ist für Fußgänger und Autofahrer gefährlich. Daß sie schneller fahren ist klar: Die Radwege hier sind gut ausgebaut, baulich, wie organisatorisch.
Mein erster Kontakt zu West-Radfahrern fand über die Luftpumpe statt. Ungewöhnlich war für Kreuzberger Jugendliche, daß ich die Pumpe am Rad hatte: „Sowas wird hier geklaut!“ Aber wenn schon. Bei uns kostet mich eine neue nur 3,85 Mark-Ost. Und abschließen und anketten ist bei uns bei älteren Rädern auch nicht unbedingt nötig.
Ich bin eigentlich kein besonders alternativer Mensch. Aber Radfahrer aus Leidenschaft. Es geht nämlich (in beiden Teilen!) schneller. Deshalb sollten Ost-Berliner mit dem Rad in den Westen. Das würde die BVG entlasten und Platz für Besucher aus Dresden schaffen. Denkt einfach, ihr müßtet auch 2,70 Mark für die Fahrt bezahlen!
Tobias Wagner, Friedrichshain
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen