: S I C H T V E R M E R K
■ Lila Pause im kalten Krieg
Mein Bac, dein Bac, jedem sein Bac. Edeka im Wedding. Sechs Deoroller im Einkaufswagen, das muß für ein Kalenderjahr reichen, bei 50 Mark pro Achselhöhle. Dazu Pampers und Serena, siebenerlei Seifen von Lux bis Irischer Frühling. Löcher im Regal, typische Westpaketware im Ostwarenkorb: Nutella, Nesquick, Kunstpudding, Müsli, Cornflakes, Ritter Sport, Coke. Folien, Folien, Folien: Backpapier, Alu, Melitta toppits. Scotch Britt für die kommenden Säuberungen. No Nonames.
Rückkehr der Steingewaschenen, Triumph der Plastiktüte. Zwei sitzen an der Imbißbar, neben den Hockern die schweren Taschen, auf den Knien die „Lui„-Titten - nicht mehr warten. Nur an der roten Ampel, selbst wenn die Straße leer ist. Das kostet im Osten 20 Mark Strafe.
Freier Eintritt zum Ehehygienefilm gegen Ostausweis, bei Beate Uhse in der Kantstraße. Kleinfamilienverbände ziehen durch die Videopeepshows, Kiddies dürfen auf den abwaschbaren Sitzbänken der Kabinen probesitzen, während Väterchen die Coverbildchen der ausgestellten Videokasseten betrachtet. Der Geldwechsler ist verwaist, es wird gespart. Kaum eine Kabine ist geschlossen, und wenn doch, schaut mann im Zehnerkollektiv.
Ein südfruchtentwöhnter DDR-Bürger verlangt in einem Sex -Shop in Neukölln Präser mit Banana-Geschmack, während sein Kumpel sich laut fragt, wie die Krummfrüchte denn eigentlich schmecken.
Stadtplan aus den dreißiger Jahren: Das Leipziger Alt -Ehepaar versucht am Görlitzer Bahnhof den Abgleich mit der Realität. Bei einer Buchhandlung am Ernst-Reuter-Platz sind solcherlei antike Metropolenübersichten im Schaufenster jetzt ganz vorn plaziert. Preise: Westmark 500 bis 700.
Der hiesige Droschkenfahrer ist sauer: Trabi-Taxis schnappen ihm die Kundschaft weg. Trotz westlichen High-Tech -Funks und anderer Sperenzchen.
Haben wir's doch immer schon gewußt: 'Bild‘ lügt: Als erste glückliche Grenzübertreter präsentierte die 'Bild'-Zeitung auf einem Foto vier taz-RedakteurInnen, die am Donnerstag abend gegen 20 Uhr am Übergang Checkpoint Charlie mit DDR -Grepos anstoßen wollten.
Das erste Ost-West-Kind: Auf offener Straße kam am Samstag in Charlottenburg eine 24jährige Potsdamerin nieder. Es ist ein Mädel!
Abendmahl am Breitscheidplatz: Attraktiv & Preiswert. Weizsäcker in der Gedächtniskirche, draußen verteilt Kaiser's umsonst Kaffee und Schokolade gegen DDR-Perso. Ungehalten reiht sich auch der Westberliner in die 400 Meter lange Speisungsschlange ein, als wär's Senatsreserve.
China-Restaurant „Man Fu Kung“, Lautstärke wie im Kinderhort, Wiedervereinigung bei Aecht Patzenhofer und Ente süß-sauer. Deutsch-deutsches Wohlstandsgefälle an einem Tisch, Menü „Familienglück“, sechs Gänge. Verzweifelt sächselt es am Nebentisch: „Können wir die gebratene Banane auf Vanilleeis weglassen?“
Im schwulen Buchladen „Prinz Eisenherz“ gibt's schon am Samstag mittag keine Prospekte mehr. Die Kaffeemaschine steht nicht still. Strahlend wandern Ost-Junghomos durch das Sortiment, zwei flennen vor Rührung. Sogar Heteropaare mit Kind werden gehäuft gesichtet. Gucken ohne Grenzen.
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