piwik no script img

Lob des Chaos

Die Berliner sind reif für die Metropole  ■ K O M M E N T A R E

Berlin ist über Nacht zur Metropole geworden. Das ist ein ganz anderes Berlin, als wir es gewohnt sind; das ist die Wiedergeburt jener metropolen Hektik, die wir bislang nur im Urlaub in Rom, Paris oder New York bewundern durften. Drangvolle Enge in Bahnen und Bussen, Warteschlangen in Kneipen und Cafes konnten die Berliner nicht von ihrer hochgestimmten Freude abbringen. Die total verstopfte Innenstadt, die zweitakterverpestete Luft und die zum Teil schon leergekauften, überlasteten Geschäfte und öffentlichen Institutionen haben eine Fülle von ökologischen und strukturellen Problemen offenbart, die auf diese Stadt zukommen - der Lust an dieser großen Veränderung tut das indes keinen Abbruch.

Daß diese riesengroße Fete ein Erfolg werden konnte, dazu haben Hunderttausende beigetragen. Jene, die die Ruhe bewahrten, auch wenn es teilweise nicht mehr vor oder zurückging, ebenso, wie die Angestellten und Beamten von Behörden und Banken. Nicht zu vergessen die Mitglieder von Hilfsorganisationen und Hausfrauen, die Kaffee und Kuchen verschenkten. Und die Angestellten der BVG. Zu danken ist auch den Tausenden von Polizeibeamten, die mit bemerkenswertem Langmut der Menge zur Seite standen: Bullen, wie wir sie täglich sehen wollen.

Viele bleiben anonym, sie werden sich nur in der Erinnerung jener wiederfinden, denen die so wenig selbstverständliche Freundlichkeit und Hilfe galt und die davon in der DDR berichten werden. Dieses kreative Chaos, dem die gewohnte Muffligkeit und die so typische Berliner Nörgelei völlig abging, bleibt von diesen Tagen der „Wiedervereinigung der Menschen“ bestehen. Die Berliner haben bewiesen, daß sie reif sind, in einer Metropole zu leben. Das ist zwar eine andere Metropole, als uns Herr Diepgen immer verkaufen wollte, aber eine viel menschlichere ist sie sicherlich.

Gerd Nowakowski

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen