piwik no script img

Israel fürchtet deutschen Riesen

Zurückhaltende Reaktionen auf Öffnung der Mauer in Jerusalem / Warnungen vor Wiedervereinigung  ■  Aus Tel Aviv Amos Wollin

Auch drei Tage nach der Öffnung der Berliner Mauer hüllt sich das offizielle Israel in Schweigen. Die einzige Reaktion stammt von Ministerpräsident Jizchak Schamir, der von einer „Revolution und einem Erdbeben“ sprach. „Die Perspektive eines wiedervereinigten Deutschlands würde sowohl Probleme als auch Vorteile bringen“, fügte Schamir hinzu.

In den Medien ist „Berlin“ allerdings Thema Nummer eins. Der Herausgeber der Zeitung 'Haaretz‘, Gershom Schocken, erklärte im Fernsehen, die Großmächte müßten darauf bestehen, daß Deutschland geteilt bleibt. „Sonst wird die gleiche Nation, die zweimal in diesem Jahrhundert das Desaster eines Krieges gebracht hat, früher oder später eine neue Bedrohung schaffen, falls ein geeintes Deutschland wieder die stärkste Kraft in Europa wird“, sagte Schocken.

Auf eine Frage, ob die Ereignisse in Berlin einer Revolution gleichkämen, entgegnete er, alle Revolutionen in Deutschland seien gescheitert. Das wirklich Neue sei der entscheidende Beitrag Gorbatschows für die gegenwärtige Entwicklung in Berlin, die von den Bürgern der DDR umgesetzt würden. Doch die Welt, einschließlich der Juden, sollte nicht das Potential eines geeinten Deutschlands und die Ereignisse vor fünfzig Jahren vergessen.

Die Schlagzeilen der meisten Zeitungen vom Sonntag zitierten Egon Krenz mit der Aussage, eine Wiedervereinigung stünde nicht auf der Tagesordnung. In einem Kommentar von 'Al Hamishmar‘ heißt es, Krenz wolle nicht abtreten, sondern die Ordnung wiederherstellen. Auf der anderen Seite wolle Helmut Kohl einen Konflikt mit den Alliierten vermeiden, die die wirtschaftliche und militärische Wiedervereininung eines deutschen Riesen fürchteten. Für die Zukunft könne dies allerdings nicht ausgeschlossen werden. „Die Konsequenzen deutscher Frustrationen und ihre Gefahren sind der Welt bekannt“, schließt der Kommentar.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen