Keine Begeisterung im Osten

■ CSSR führt wieder Visapflicht für DDRler ein / 'Prawda‘ lobt die Öffnung der Mauer, Regierungssprecher Gerassimow will aber nichts von Grenzänderungen wissen / Polen haben gemischte Gefühle

Berlin (ap/taz) - Nach der Öffnung der Berliner Mauer haben die tschechischen Behörden am Samstag wieder die Visumpflicht für DDR-Bürger eingeführt. Seit dem 4. November konnten DDR-Bürger ohne Visa in die Bundesrepublik durchfahren. Das ist nun offensichtlich vorbei, obwohl noch am Samstag offiziellerseits jede Veränderung der bestehenden Praxis bestritten wurde. Nach Angaben der bayerischen Grenzpolizei bestehen die CSSR-Behörden seit Sonnabend jedoch auf ein Visum der DDR.

Kommentarlos verbreitete Radio Prag die Neuigkeit von den offenen Grenzen in Berlin. Regierungsoffizielle Stellungnahmen zu den Vorgängen im Nachbarland DDR gab es nicht.

Was hätten die Sprecher der Prager Führung auch schon dazu sagen können? Denn nach der rasanten Entwicklung in der DDR richten sich nun alle Augen auf die CSSR. „Daß Berlin jetzt nicht mehr länger eine starke Anti-Perestroika-Bastion ist, setzt die Tschechoslowakei unter großen Druck“, hieß es in der ungarischen Zeitung 'Magyar Nemzet‘. In Ungarn gehen die Analysen für die Deutschlandpolitik sogar noch weiter. „Wahrscheinlich wollte Krenz mit diesem Zug eher das Sicherheitsventil öffnen als einen Schritt zur deutschen Einheit zu tun“, hieß es in dem Blatt. Vielleicht sei der Tag nicht mehr fern, an dem die vier Alliierten einen Friedensvertrag mit Deutschland unterzeichnen, schrieb die 'Magyar Hirlap‘. Der Prozeß einer europäischen Annäherung sei nun beschleunigt worden.

Solche Ansichten sind für das offizielle Moskau noch zu weitgehend. Für den Sprecher des sowjetischen Außenministeriums Gennadi Gerassimow sind die Ausreiseregelungen in der DDR zwar ein „Meilenstein“ und ein „historischer Augenblick“. Die sowjetische Regierung habe in den letzten Tagen in ständigem Kontakt mit der DDR-Führung gestanden. Die Entscheidung der DDR sei aber „ein souveräner Akt der Regierung einer souveränen Republik“. Gleichzeitig warnte Gerassimow die Bundesrepublik vor Spekulationen über mögliche Grenzänderungen. Die Frage der Wiedervereinigung werde in Deutschland wieder aus der Diskussion verschwinden. Es sei nicht an der Zeit, darüber zu reden.

Für die Parteizeitung 'Prawda‘ ist nun ein gordischer Knoten durchschlagen. Die DDR habe einen wichtigen Schritt auf den Weg zur „Schaffung eines gesamteuropäischen Hauses“ getan. Sie habe damit den Willen zur Erneuerung bewiesen, sowohl im eigenen Haus als auch in den Beziehungen zur Bundesrepublik. Doch die Eigenstaatlichkeit der DDR dürfe nicht angetastet werden.

In Polen dagegen hat die Öffnung der Mauer und nicht nur der Kohl-Besuch die Diskussion um die Perspektiven einer Wiedervereinigung belebt. Die polnische Regierungssprecherin Malgorzata Niezabitowska nannte vier Bedingungen: Zunächst müßten sich alle in beiden Staaten lebenden Deutschen für eine Wiedervereinigung aussprechen, dann müßte das Einverständnis aller vier Alliierten eingeholt werden. Weiterhin müßte die Wiedervereinigung in „einen europäischen Rahmen“ gestellt werden mit der Garantie, daß ein neues und unabhängiges Deutschland nicht die europäische Sicherheit und Zusammenarbeit bedroht. Für Polen unabdingbar sei die „Unantastbarkeit der Oder-Neiße-Grenze“. Dagegen hat die rumänische Presse erst mit Verzögerung die Ereignisse in Ost -Berlin und auch in Bulgarien gemeldet. Die offizielle Nachrichtenagentur 'Agerpress‘ berichtete nicht über die Öffnung der Grenze in Berlin. In einem Dreißig-Zeilen -Artikel werden lediglich die Beschlüsse des SED -Zentralkomitees dargelegt und die Bestätigung von Egon Krenz als Generalsekretär gemeldet.

Ganz so wortkarg hat sich die chinesische Presse nicht gegeben. Schon am Samstag meldete die Parteizeitung 'Renmin Ribao‘ die Öffnung der Grenzen und zitierte Innenminister Schäuble mit den Worten, potentielle Übersiedler sollten sich den Schritt gut überlegen, ihre Lebensbedingungen könnten für lange Zeit schlechter sein als die derzeitigen. Die Nachrichtenagentur 'Xinhua‘ hatte schon am Freitag hervorgehoben, die Entwicklung schaffe „einen ernsthaften Druck auf die Bundesrepublik und West-Berlin“. Die Massenkundgebungen in den Städten der DDR wurde jedoch nicht erwähnt.

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