Schleusendekor

■ Exodus-Impressionen an den Berliner Grenzübergängen

Es war ein Treiben und Strudeln, als am 9.11. der deutsch -deutsche Abwehrmechanismus zusammmenbrach und Träume zwischen Ost und West weckte. Bei sternenklarer Nacht trafen sich Blicke noch unterm Spiegelhimmel der Kontrollboxen, schnalzten die Türen den Zonenblues schon im rap-pigen Rhythmus. Ein galanter Wink des Grenzbeamten fügte sich schon ganz ungezwungen ins von nun an postmoderne Schleusendekor. Unter noch verbindlichem Lächeln einfach durchgehen, als hätte man dem Kohlhaas ein neues Gespann gegeben und er die Zukunft diesmal nicht trotzend verschluckt. Als sei es nach 28 Jahren für Pubertät noch nicht zu spät, waren sie mit einer Rose vom Kudamm noch in dieses Jahrtausend zurückgekehrt, und der Ausblick aufs kommende schien für eine Nacht lang unbeschwert. Auf dem Territorium der Wünsche schon allzuoft aus Träumen erwacht, hatten sich Grenzwandler noch eilends mit einer Zeitung versehen, um des Erlebten auch morgen noch sicher zu sein. Dabei hatte sich die Pogromnacht gerade das fünfzigste Mal gejährt, und schon hat sich Trauer in Taumel verkehrt. Erneut läßt sich Erlebtes nur schwer in Sprachdämme pressen.

„And I drive all night to buy my baby some shoes“, was Bruce Springsteen vorvergangenen Sommer noch als Zelluloiderfahrung besungen hatte, bekam in dieser Nacht einen anderen Klang. Zumal der Westen beim Trabi-Reisespaß schon allzulange nicht mehr in der ersten Reihe saß, genoß man hier bei aufgedrehtem Radio den welthistorischen Sinn des sonst so alltäglichen „drive in“. Schon die grenznahe Bewegung vermochte zu bewegen - um ein phantastisches Moment vielleicht anders, als der Sieg einer deutschen Nationalmannschaft hupen und grölen macht. Für eine Nacht wenigstens schien ein „Rite de passage“ seine Bedeutung zu verlieren, und wer wollte da nicht Passagier gewesen sein, sich unterm Andrang der Flaneure an den Übergängen in diese und jene Freiheit zwängen.

Simone Lenz