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Venceremos

 ■ S T A N D B I L D

„Venceremos“, der große alte Mann der Oppositionsbewegung Ost, Walter Janka, beendete damit auf emphatische Weise eine Premiere. Da war die Veranstaltung nicht nur im Falle Christa Wolf, die von einer ersten Gelegenheit der öffentlichen Abrechnung mit den Grundübeln des DDR-Staates, dem Stalinismus, sprach, sondern sie war auch telegen ein Novum. In einer Aufzeichnung aus dem Deutschen Theater vom 15. November übertrug das DDR-Fernsehen eine Lesung des Schauspielers Ulrich Mühe (Das Spinnennetz) aus Reuter Jankas im Rowohlt-Verlag erschienener Biographie Schwierigkeiten mit der Wahrheit. Janka war einer der Opfer der Ulbrichtschen Schauprozesse. Das Buch rechnet ab und rechnet vor allem vor, daß der antifaschistische Koloß des SED-Kommunismus spätestens in den fünfziger Jahren zerrieben wurde und gegen Null trieb. Es ist eine Mahnung und Warnung zugleich, nicht allen Antikommunismus über Bord zu werfen. Janka zum Publikum, nachdem es die Lesung mit anhaltendem Applaus quittiert hatte: „Wenn ich in Eure Gesichter schaue, nehmt endlich die Macht in Eure Hände.“

Und das alles lief ohne Tonstörung oder Bildflimmern über den Sender und war nicht einfach ins Programm geschoben worden, sondern seit vergangenem Freitag angekündigt, ein Höhepunkt des deutsch-deutschen sonntäglichen Fernsehabends. Jedenfalls in West-Berlin. Wann kommt die Einspeisung ins bundesdeutsche Kabelnetz, das sehnen sich auch die Chefredakteure des DDR-Fernsehens herbei.

Eduard von Schnitzler hatte vor über dreißig Jahren übrigens als Reporter „wie ein Student wild vor Begeisterung“ über die Verurteilung Jankas auf den Tisch getrommelt, heute ist er weg vom Fenster. Janka ist da. Hinter den TV-Kulissen dürfte es ein entsprechendes Hauen und Stechen geben. Vorläufig ist das Themenspektrum erst mal weiter und spannender geworden. Ich glaube aber weniger wegen einer medialen Wende. Die meisten Reporter sind eben auf die Themen konzentriert, die endlich auch vom ZK der Partei wahrgenommen und devertiert werden. Deshalb die „Freiheit“, besser die „Pflicht“ zur Berichterstattung.

Die SED unterscheidet (Günter Schabowski) immer noch zwischen Kommunisten und Journalisten. Ist ein Journalist ein Kommunist, ist er in erster Linie Kommunist und hat die Linie der Partei zu befolgen. Gegenüber Parteichef Krenz herrscht Devotheit. Er stellt sich selber die Fragen und beantwortet sie auch. Wir erfahren, daß er überraschenderweise nicht unter dem Eindruck der Reisewelle steht, sondern unter dem der SED-Kundgebung am vergangenen Wochenende im Lustgarten.

Höhepunkt der „Aktuellen Kamera“ ein Interview mit Gregor Gyse, dem oppositionellen Rechtsanwalt mit guten Kontakten zur Staatspartei. Thema: das den Rechtsanwälten vorgelegte Reisegesetz, das für jeden ab 14 Jahren einen Reisepaß ohne Visum vorsieht. Interviewer, Bert Straske, ist fast aus dem Häuschen und auf fürsorglicher Parteilinie. Sollen 14jährige schon nach West-Berlin reisen dürfen? Drohen dort nicht Rauschgift und Prostitution? Was ist mit den Grenzgängern, (Trauma: 1963), die im Westen die große Kohle machen? Gyse: „Die kriegen den Paß auf die Dauer eines Jahres entzogen.“

Noch ist nicht entschieden, ob sich die vielen guten Journalisten in der DDR möglichst vom Machtanspruch der Partei emanzipieren können. Investigativer Journalismus kann man ihn schon einklagen?

Benedict M. Mülder

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