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S I C H T V E R M E R K

■ Lila Pause im kalten Krieg

Kultursenatorin Martiny (SPD), aus USA endlich zurück im Zentrum des Weltgeschehens, hatte nichts Besseres zu tun, als sich mit Brandauer-Darsteller Klaus Maria, der im eigenen Film den Hitler-Attentäter Georg Elser gibt, ins Kino zu setzen. Dort diskutierte sie mit Brandauer und DDR -Bürgern, die zum Kurs von 1:1 eingelassen wurden, über den Elser-Film („Einer aus Deutschland“). Mies von Klaus Maria: Zur Premiere von Bernhard Wickis „Spinnennetz“, wo er mitschauspielerte, war er nicht nach Berlin gekommen.

Die Plastiktüte als Konsum-Leitsystem. Überfüllte U-Bahn gestern Mittag. Vom Kaufhausmarathon abgeschlaffte DDR -Bürger studieren die auf den Plastiktüten der Mitfahrenden aufgedruckten Ladenadressen. „Wilmersdorfer Straße? Gibt's da 'nen Jeans-Shop?“ staunt eine Besucherin aus Stralsund und stößt ihrem Mann in die Rippen: „Da müssen wir noch hin.“ Doch der Alte ist müde und mag nicht mehr: „Ich will zurück nach Berlin.“

Spät, aber doch: Mit Büchern, die er vor 28 Jahren kurz vor dem Mauerbau ausgeliehen hatte, kam ein Ostberliner jetzt zur Amerika-Gedenkbibliothek. Er habe die Bücher immer aufbewahrt in der Hoffnung, sie eines Tages doch noch zurückgeben zu können. Nun sei sein erster Weg der zur Bücherei gewesen, sagte der Ostler einer Bibliothekarin. Eher habe er nicht kommen können, da er noch nicht Rentner sei. Zur Zeit der Ausleihe sei er Student gewesen. Die Amerika-Gedenkbibliothek wies darauf hin, daß auch alle Bürger der DDR sich Bücher ausleihen und in den Leseräumen benutzen könnten. In den letzten Tagen habe es schon viele Neuanmeldungen von Lesern jenseits der Grenze gegeben.

Engholm durfte mit Momper-Autogramm rüber. Die auf einen Flugplan gekritzelte Unterschrift des Regiermeisters hat für seinen Parteigenossen, den Waterkant-Kennedy Björn Engholm, als Eintrittskarte für Ost-Berlin gewirkt. Engholm hatte sich spontan entschlossen, in die Metropole des deutschen Wiedersehens zu fliegen, aber seinen Paß vergessen. Momper notierte auf dem Flugplan die Bitte, man möge Engholm „einen kurzen Besuch nach Berlin (Ost) ermöglichen“. Am Checkpoint Charlie durfte der Holsteiner eigentlich nicht durch, aber nach einem Telefonat mit Vorgesetzten gaben die GrePos in gewohnter neuer Freundlichkeit den Weg frei.

Guinessmäßig: Die Arbeiterwohlfahrt hat jetzt die Bilanz ihres wohltätigen Wochenendes gezogen. Insgesamt verteilten die AWO-HelferInnen 16.000 Becher Kaffee, 8.000 Becher Tee, 8.000 Stullen, 5.000 Suppen, 300 Liter O-Saft, 50 Kisten Gebäck, 5.000 Stadtpläne und 3.000 Berlin-Bücher.

Dentisten deutsch-deutsch. Da nicht nur die Mauer bröckelt, sondern unter Umständen auch das Kauwerkzeug, haben die Berliner niedergelassenen Kassenzahnärzte mitgeteilt, daß alle Zahnärzte und der Zahnärztliche Notdienst (Tel.1141) die Ost-Gäste in dringenden Fällen kostenlos behandeln.

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