: EIN GUTER JAHRGANG
■ Einakter von Henze und Puccini in der HdK
Eigentlich soll man sie nicht vergleichen. Doch das ältere, harmlose Stück ist ganz offenkundig viel moderner. Puccini hat seinen boshaften kleinen Einakter Gianni Schicchi während des Ersten Weltkrieges komponiert (von dem der gutsituierte Maestro übrigens so gut wie nichts mitgekriegt hat). Der Stoff stammt aus dem 30.Gesang des Infernos der Göttlichen Komödie, es geht um Urkundenfälschung und Erbschleicherei, das Libretto mokiert sich über die niedrigsten menschlichen Instinkte - und die Musik schlägt einen buffonesken Purzelbaum nach dem anderen. Kurzum: ein niedliches Nichts, das sehr oft aufgeführt wird und niemanden etwas angeht.
Henze dagegen hat 1953 eine der ausgefuchst Lieblosen Legenden Wolfgang Hildesheimers zu einer Funkoper verarbeitet und dazu mit größtem Ernst erklärt, daß die schlimmsten Feinde des modernen freiheitlichen Lebens, das voll ist von Wundern und wunderbaren Gefahren und das viel Mut und Kraft erfordert - jene lächelnden Snobs und Zyniker sind, die auf den künstlichen Inseln der Scheinkultur ihr Wesen treiben, und von hier aus das Festland mit Steinen bewerfen. Später hat er das Stück umgeschrieben zu einem handlichen Einakter, und der ist dann nach der Uraufführung in Frankfurt 1965 dauerhaft in der Versenkung verschwunden.
Jetzt hat ein Studentenprojekt der HdK für eine Berliner Erstaufführung gesorgt. Und bei allem Respekt vor dem Mut und den Kräften der Mitwirkenden: das Stück staubt. Der ironisch gemeinte Jazzboogie im zweiten Akt klingt genauso antik wie die kühl-pathetischen Moralpredigten des Protagonisten, der sich vorwiegend in der „positiveren Welt der Dodekaphonie“ (Henze) bewegt. Er heißt Fallersleben und erzählt, wie schon der Titel verrät, vom Ende der Welt vom Untergang einer künstlichen Insel samt der morbiden Bourgeoisie, die darauf haust. Eine kulturkritische Parabel also von zeitloser Klassizität - und so raffiniert gearbeitet, daß man meinen sollte, das Stück singt und inszeniert sich wie von selbst.
Aber nichts kommt über die Rampe. Vielleicht liegt es überhaupt daran, daß die Schwarz-Weiß-Dialektik der frühen Sechziger heute nur noch peinlich und nicht mal mehr komisch wirkt - schließlich haben ja auch viele frühe Witzworte der Studentenbewegung einen abscheulich langen Bart. Vielleicht liegt es aber auch an der Machart: Jede Sentenz wird, so wie Henze es liebt, von der Musik noch einmal verdoppelt (weil sie ursprünglich fürs Radio konzipiert war, sogar verdoppelmoppelt) - und alsdann von der Szene verdreifacht. Brav halten sich die Studenten an die Anweisungen: eine bourgoise Zimtzicke ist eine bourgoise Zimtzicke ist eine Zimtzicke. Schickimicki ist Mickischicki. Der Dichter ist ein Dichter. Er skandiert: „Was ist das? Was vernehme ich nun? Ich vernehme ein dumpfes Rollen. Ist es etwa ferner Donner? Der Fußboden vibriert: wieder sehe ich auf die Gäste.“ Er sieht auf die Gäste. Die Gäste vibrieren. Wir vernehmen gepflegten Donner aus dem Graben.
Lange nicht mehr so gut gegähnt. Auch für die Puccini -Inszenierung haben sich die jungen Leute nichts Eigenes einfallen lassen. Die Bühne sieht so aus, wie sie seit Jahr und Tag an allen Stadttheatern aussieht, wenn es den Schicchi gibt. Das Orchester spielt nur Forte mit Schmackes. Zum Singen bauen sich die Opernsänger bekanntlich an der Rampe auf; wenn sie gerade nicht dran sind, stehen sie dekorativ im Raum. Aber diesmal macht das nichts. Ein Ohrwurm wie Puccini ist ja nicht totzukriegen und der Applaus am Ende ungeheuer. Sie haben alle achtbar gesungen die Lauretta (Itziar Real) machte aus ihrem schmelzenden As-Dur-Cavantinchen sogar für ein paar Herzschläge lang große Oper. Ein guter Jahrgang an der HdK. Der Eintritt ist frei. Aber geschenkt kriegt man diesen netten und lehrreichen Abend denn doch nicht: Zur chaotischen Vergabe der Billetts an der Abendkasse ist jede Menge Zeit und Geduld mitzubringen.
Elisabeth Eleonore Bauer
Weitere Aufführungen heute sowie am 16., 18. und 19. November im Theatersaal Fasanenstraße 1B um 19.30 Uhr.
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