: Anschluß an UdSSR null und nichtig
■ Estnischer Oberster Sowjet erklärte Aufnahme in die UdSSR im Jahre 1940 für ungültig / Doch keine Abkehr von der heutigen SU / Neues Reisegesetz für gesamte UdSSR kurz vor Zustimmung
Moskau (dpa/afp) - Der Oberste Sowjet der Republik Estland hat den Anschluß der baltischen Republik an die Sowjetunion 1940 für „null und nichtig“ erklärt. Am Sonntag nahm das estnische Parlament eine Resolution an, in der der Anschluß als „militärische Besetzung“ und „Annexion“ verurteilt wird. Damit wurde die Abstimmung der estnischen Duma, der damaligen Nationalversammlung, die im Juli 1940 einen Antrag auf Aufnahme in die Sowjetunion gestellt hatte, annulliert.
Der Sekretär der estnischen KP, Mikk Titma, kommentierte: „Die Entscheidung des Obersten Sowjets Estlands wird die Beziehungen zwischen Republik und Zentrum verändern.“ Allerdings bedeute das „keine Abspaltung Estlands von der Sowjetunion“. Bei der Abstimmung sollen 46 Abgeordnete den Saal aus Protest verlassen haben.
Ein Antrag über die Führungsrolle der KPdSU, der dem Kongreß der Volksdeputierten am 12.Dezember vorgelegt werden sollte, war vorgestern nur mit einer knappen Mehrheit der Abgeordneten abgelehnt worden. Zuvor hatte Gorbatschow eine Debatte darüber mit dem Hinweis abgewiesen, er „sehe keine andere Kraft, die die Partei ersetzen könnte“.
Die Sowjets sollen künftig den DDR-Bürgern in nichts nachstehen. Auch sie werden demnächst in den Vorzug einer freizügigen Reiseregelung kommen. Der Vorsitzende der Kommission für humanitäre Angelegenheiten und Menschenrechte, Fedor Burlatzki, brachte am Montag im Obersten Sowjet einen Erneuerungsvorschlag des Reisegesetzes ein. Die Annahme des neuen Gesetzes gilt als gesichert.
Neben erheblichen Vereinfachungen der bisher üblichen Formalitäten sollen alle Sowjetbürger einen fünf Jahre gültigen Paß erhalten, mit dem sie in alle Länder ihrer Wahl reisen können. Bisher erhielten sie einen Paß, der nur Gültigkeit für die Dauer ihres Auslandsaufenthaltes besaß. Außerdem mußten sie den Behörden eine Einladung von Verwandten oder Bekannten vorlegen. Das soll künftig entfallen.
Eine weitere Neuerung enthält der Gesetzentwurf auch für Ausländer. Sie sollen sich bis zu drei Jahre als Besucher unter dem Status des „zeitweiligen Aufenthaltes“ in der Sowjetunion bewegen können. Die neuen Bestimmungen, so Burlatzki, sollen dazu beitragen, den „gesetzlichen Willkürpraktiken ein Ende zu setzen, durch die sich das Schicksal vieler entscheidet, die aus- oder einreisen wollen“. Außerdem will man damit dem Reiseverbot entgegentreten, das vor allem Militärverwaltungen ganz nach ihrem Gutdünken gehandhabt hatten.
Der stellvertretende Außenminister unterstrich, das Gesetzesvorhaben stehe in Zusammenhang mit der für Oktober nächsten Jahres in Moskau geplanten KSZE-Konferenz.
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