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Wiener Opec-Anschlag vor Kölner Landgericht

Gabriele Tiedemann steht seit gestern wegen des Überfalls auf die Opec-Zentrale in Wien 1975 unter Mordanklage / Vierzehn Jahre danach ist die Beweislage äußerst dürftig / Das Bundeskabinett hatte sich einer Einstellung des Verfahrens widersetzt  ■  Von Wolfgang Gast

Berlin (taz) - Vor der 12. Strafkammer des Kölner Landgerichts begann gestern der Prozeß gegen die 38jährige Gabriele Tiedemann. Von der Staatsanwaltschaft wird ihr vorgeworfen, 1975 beim Wiener Opec-Attentat mit dem Kommandonamen „Nadja“ einen Polizisten und einen irakischen Leibwächter erschossen zu haben.

Bei dem spektakulären Anschlag auf das Hauptquartier der Opec wurden damals drei Personen getötet, elf Opec-Minister gekidnappt und anschließend mit den Geiselnehmern - darunter auch der meistgesuchte „internationale Topterrorist Carlos“

-nach Algier ausgeflogen. Die Beweislage ist aber so dürftig, daß Prozeßbeobachter allgemein mit einem Freispruch rechnen. Zum Protestauftakt stellten die Verteidiger gestern in dem besonders gesicherten Saal einen umfangreichen Antrag auf Verfahrenseinstellung.

Als der CDU-Politiker Peter Lorenz im Februar 1975 in Berlin entführt wurde, saß Gabriele Tiedemann im Essener Gefängnis. Zwei Jahre zuvor war sie zu acht Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden, nachdem sie beim versuchten Diebstahl von KFZ-Kennzeichen in Bochum gestellt worden war und auf Polizeibeamte geschossen hatte. Zusammen mit Rolf Heißler, Rolf Pohle, Ingrid Siepmann und Verena Becker wurde sie von den Lorenz-Entführern freigepreßt und anschließend zusammen mit Pfarrer Heinrich Albertz als Geisel in den Südjemen ausgeflogen.

Drei Jahre später, im Dezember 1977, wurde sie im schweizerischen Delemont nach einer Schießerei mit Schweizer Grenzbeamten verhaftet. Einer der Grenzbeamten wurde bei dem Schußwechsel lebensgefährlich verletzt, Frau Tiedemann wegen einer „fehlgeschlagenen Mordtat“ zu 15 Jahren Haft verurteilt. Wegen guter Führung wurde sie nach zehn Jahren entlassen und sofort an die Bundesrepublik ausgeliefert. Obwohl sie in der Haft dem bewaffneten Kampf eine Absage erteilt hatte - das wiederholte sie in der gestrigen Verhandlung - und einen Schweizer Journalisten heiraten wollte, konnte sie die Auslieferung in die Bundesrepublik nicht verhindern.

Das Verfahren gegen das frühere Mitglied der „Bewegung 2.Juni“ sollte ursprünglich im Januar 1984 in Köln verhandelt werden. Der Prozeß plazte aber, weil es die Bundesregierung versäumt hatte, fristgerecht ein Überstellungsersuchen an die Schweiz zu richten. Nur wenige Monate zuvor war im Oktober 1983 bei der deutschen Botschaft in Saudi Arabien ein Drohbrief von „Carlos“ eingegangen: Für den Fall, daß Gabriele Tiedemann vor Gericht müsse, drohte er mit der Ermordug des damaligen Innenministers Zimmermann.

Wegen der dürftigen Beweisführung hatten aber auch die Kölner Staatsanwaltschaft und das Gericht aus Gründen der „politischen Opportunität“ das Verfahren einstellen wollen. Die österreichischen Behörden hatten zuvor angeordnet, daß kein in ihrem Staatsdienst tätiger Zeuge der deutschen Justiz zur Verfügung stehe, und zur Ladung weiterer ausländischer Zeugen, etwa der Opec-Minister, fehlte den Anklägern die rechtliche Handhabe.

Daß es zur Einstellung des Verfahrens nicht kam, ist dem Bonner Kabinett geschuldet. Aus Angst um das Prestige als konsequente Terrorismusbekämpfer verweigerte man seine Zustimmung. Das Verfahren wird am Donnerstag fortgesetzt.

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