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NOCH MEHR SELBERGEDACHTES

■ Zweiter Teil der LeserInnennotizen aus dem wortfreien Raum

Unsere am letzten Montag unter dem Eindruck akuter Kommentaritis gestartete Aktion „Hier können BürgerInnen selber denken“ treibt unverhoffte Blüten. Zur freien Gefühls - und Gedenkverfügung der Ost-West-Leserschaft stand eine Seite „Raum für eigene Notizen“ unter besonderer Berücksichtigung des Themas „Oder sind Sie etwa nicht endlich sprachlos“ zur Verfügung. Wir kommentieren in Wort und Bild die schönsten Sprachlosigkeiten:

Platt wie 'ne Flunder wünsche ich mich, kann nur noch Reggae ertragen und will das Haus nicht mehr „unbehütet“ verlassen. Ich bin aus Leipzig, seit 1953 „hier“ und muß mir nun ernsthaft überlegen, ob ich nächstes Jahr nach USA, UdSSR oder China fahren will! Kulturell gibt's in Westberlin eh nur noch „Frog Sandwich“ als einzige interessante Band (fish fish, oohoh, fish fish ahahh“.

Unleserlich

In Berlin können nun auch wieder andere Tiere überleben als nur die Fisch-Bürokraten. Jah Jah-Time has come anyway! „Fürchte dich nicht - glaube nur“, spricht der Herr. Liebe GrüßeA. Sinus, 1/61

unter gekritzeltem winkendem Langohr ist's nun ein Hase oder 'n Esel?

Was können wir tun gegen den neuerwachten deutschen Nationalismus, der momentan über uns hereinbricht? Wann ist die erste Großdemo gegen Großdeutschland? Themen: - kein Großdeutschland, nie wieder

-keine Wiedervereinigung

-eine souveräne DDR, mit von BRD anerkannter Staatsbürgerschaft

-nie wieder „Deutschland über alles“

-DDR, laß Dich nicht kaufen

-wir dürfen die „3.Welt„-Flüchtlinge nicht vergessen, die gehen total unter

-der DDR Zeit lassen, selbst über sich zu entscheiden

Sind Euch am Brandenburger Tor auch die vielen Skinheads aufgefallen? Und ging Euch das Singen der BRD-Nationalhymne auch so auf die Nerven? Bin alles andere als euphorisch.

Arnd Bächler, 1/44

In malerischer Federschrift: Ein Rhythmus regiert

In gebrochenem Beat

während unser Gang

noch auf Leerlauf steht.

TRANSIT

Erinnerungen, die

sich auflösen

Worte verlieren sich

im selben Augenblick.

Wir bäumen uns

noch einmal auf

dann schießen wir

über das Ziel hinaus.

Im Labyrinth der Stadt

fallen wir in Fieber

die Nacht im Kopf

den Tag vor Augen.

Kopfsteinpflaster

für unsere Wunden

die Fieberkurve steigt

und wir sehen uns satt.

Sprungversuche

doch keine Chance

sich zu verlieren

& das ist schade.

Joachim J. Tschörtner, 1/61

In den unendlichen Weiten der Selber-Denk-Seite verliert sich ein Dipl.BWLer unter der Zeile „Raum für eigene Notizen“ mit den Worten

Ausbaufähig. In Zukunft bitte 4 Seiten davon!!!

und fühlt sich zu einer förmlichen Kondolenzbezeugung animiert

Helmut Schmitt, 1/10.

In einem selbergemachten goldgelben Hochglanzpfirsich -Briefumschlag verpackt: Cooltour am 11.11. 89

Zart blau ist das Begrüßungsgeld

Und wenn es auf das Pflaster fällt,

schwebt es mit höchster Eleganz.

Das war der Beitrag Sparte „Tanz“.

Am Übergang wird jubiliert,

Die Zähne klappern, denn man friert

Das Dosenbier geht auf mit „Klick“

Das war der Beitrag zur „Musik“.

Na gugge mal, äin rischtger Porno,

Die läse hia nisch nur Adorno.“

„Der Baba? Is im Sexshop, such!“

Das wars zum Thema „gutes Buch“.

Bernd R. Dünkel-Daus

Und weiterhin kämpfen die Künstler mit allen Mitteln, rot eingerahmt, in Schreibmaschinenschrift:

Das KUBAT-Dreieck lebt ohne Mauer.

Kunstkeller Kreuzberg

Stresemannstraße 36

Do-So 16-19 Uhr

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