Kümmern um den „letzten Dreck“

Mit dem Frankfurter Multikulturdezernenten bei den FlugzeugreinigerInnen auf dem Frankfurter Rhein-Main-Flughafen / Sie entsorgen nicht nur den letzten Dreck, sie werden auch so behandelt und bezahlt / Jetzt wollen sie nicht mehr „kalkulierbarer Kostenfaktor“ der Unternehmen sein  ■  Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Frankfurt (taz) - Die Pförtner am Tor 12 des Frankfurter Rhein-Main-Flughafens mustern den langhaarigen Mann im weinroten Jackett und dem grünen Pullover mißtrauisch. Ob er denn einen Termin habe und - wenn ja - mit wem, wollen die Männer in der Uniform der Flughafen AG (FAG) wissen. Schließlich könne hier nicht jeder einfach so... Der Besucher lächelt und wirft den Pförtnern wortlos einen winzigen Ausweis auf den Tisch: „Gestatten, Cohn-Bendit, Stadtrat!“

Die Uniformierten entschuldigen sich. Schließlich habe man nicht wissen können, daß er der „berühmte Cohn-Bendit“ sei. Und Stadträte wären hier in der Vergangenheit „immer mit dem Dienstwagen vorgefahren“. Mit Akribie füllt der daür zuständige FAG-Mann dann die Besuchserlaubnis aus - und an der Glasscheibe des Pförtnerhäuschens drücken sich seine Kollegen die Nasen platt, um einen Blick auf den „kleinen Rothaarigen“ zu werfen.

Der ehrenamtliche Stadtrat für multikulturelle Angelegenheiten will an diesem Vormittag nicht - wie von den Pförtnern zunächst angenommen - den Vorstand der FAG konsultieren, in deren Aufsichtsrat auch die Stadt Frankfurt vertreten ist. Ganz im Gegenteil: Der Dezernent ist gekommen, um die Arbeitsbedingungen der Menschen auf dem Flughafen kennenzulernen, die für den „letzten Dreck“ in den Flugzeugen zuständig sind. Die ausländischen Arbeitnehmer des Gebäudereinigungsgiganten Wisser aus Neu-Isenburg, die in Wechselschicht täglich rund 400 Flugzeuge fast aller Gesellschaften reinigen, wollten ihren Dezernenten sprechen

-und zwar subito.

Die exakt 568 Beschäftigten der Firma Wisser haben es nämlich satt, als „kalkulierbarer Kostenfaktor“ von einem Unternehmer zum anderen verschoben zu werden, wie Betriebsrat Sazih Evcan nach kurzer Autofahrt über das gesamte Rollfeld des Airports in der Einsatzzentrale der Firma Wisser erklärt. Die FAG schreibe die Flugzeugreinigung alle fünf Jahre neu aus. Bei einem Firmenwechsel würden zwar die MitarbeiterInnen übernommen, doch jeder einzelne Beschäftigte bekomme dann einen neuen Arbeitsvertrag. Evcan: „Im ersten Jahr der Anstellung fällt dann nicht nur das Weihnachtsgeld weg.“ Auch was sich die Leute aufgrund ihres jahrelangen Beschäftigungsverhältnisses an zusätzlicher Urlaubsberechtigung und Zuschlägen erarbeitet hätten, gelte dann nicht mehr, empört sich Evcans deutsche Kollegin Magdalena Heckmann: „Wir fangen praktisch bei Null wieder an.“

Der Dezernent hört sich die Klagen der Betriebsräte geduldig an und verspricht Hilfe. Die FAG - so die Auffassung Cohn-Bendits - müsse bei den Verhandlungen mit den Interessenten aus der Großreinigungsbranche darauf drängen, daß die Belegschaft „mit allen erworbenen Rechten“ übernommen werde. In der Magistratsrunde werde er das Anliegen der Kolleginnen und Kollegen vortragen und mit einem entsprechenden Magistratsbeschluß dann an die FAG herantreten. Cohn-Bendit: „Das scheint mir der einzig gangbare Weg zu sein.“

Dem pflichtet im Anschluß auch der Geschäftsführer der Firma Wisser bei, der den Dezernenten unterwürfig empfängt. Er sei schon immer ein „Linker“ gewesen, trug der Nadelstreifenmann vor - und sein Chef sei gleichfalls ein, wenn auch nicht parteipolitisch engagierter, Sozialdemokrat: „Wir sind ein sozial vorbildlicher Betrieb.“

Toilette putzen,

Kotztüten abräumen

Das sehen die Betriebsräte allerdings anders. Neun Klagen gegen Wisser seien anhängig, berichtet Sazih Evcan. Unter anderem habe der „sozial vorbildliche“ Geschäftsführer dem Betriebsrat das Auto wegnehmen wollen. Doch nur mit dem Wagen kann der Betriebsrat auf dem riesigen Flughafengelände seinen Aufgaben gerecht werden: Per Computer werden die Reinigungscrews von der Wisser-Einsatzzentrale in die entlegensten Winkel des Airports dirigiert, um die in Minutenabständen landenden Jets zu reinigen. Nur Lufthansa und Pan Am unterhalten eigene Reinigungstrupps. Die Beschäftigten dort sind in der ötv organisiert - im Gegensatz zu den Wisser-Mitarbeitern. Die gehören der Gewerkschaft IG Bau-Steine-Erden an, weil: „Uns Putzlappenschwinger wollte keiner haben“ (Evcan). Nach langen Verhandlungen seien sie vor Jahren in der IG Bau -Steine-Erden aufgenommen worden, da es seinerzeit hauptsächlich um die gewerkschaftliche Heimat der Gebäudereiniger gegangen sei.

So müssen die FlugzeugreinigerInnen auf dem Airport mit zwei Tarifverträgen leben, wobei die Lufthansa- und Pan-Am -Beschäftigten im Schnitt besser wegkommen. Bei Wisser jedenfalls werden die in den Maschinen Schwerstarbeit leistenden Putzmänner und -frauen erbärmlich bezahlt. Die Stundenlöhne liegen zwischen 8 Mark für eine „Putzkraft“ und 13 Mark für eine(n) VorarbeiterIn mit „Fahrbefugnis“ - alles brutto. Im Wisser-Ausbildungszentrum wird der Multikulturdezernent mit den „vielfältigen Aufgaben der Flugzeuginnenreinigung“ (der Geschäftsführer) vertraut gemacht: Toilette putzen, liegengebliebene Kotztüten entsorgen, Essensreste aus den Ablagen klauben, Gänge staubsaugen und Wände abwaschen - alles in knapp 15 Minuten und mit fünf Leuten. Nicht ohne Stolz erklärt der Geschäftsführer dem Grünen, daß nur „ökologisch unbedenkliche Putzmittel“ zum Einsatz kämen, denn „die Gesundheit unserer Leute geht uns über alles“. Der Krankenstand bei Wisser liegt bei knapp 20 Prozent der Beschäftigten.

Draußen bei den Flugzeugen, zu denen Betriebsrat Evcan dann den Dezernenten im noch betriebsratseigenen Auto fährt, herrscht ein Höllenlärm. Die parkenden Maschinen lassen die Triebwerke warmlaufen. In der frisch gereinigten Boeing der Turkish Airlines, die mit offener Heckklappe wie ein gähnender Walfisch am Terminal steht, versteht man kaum sein eigenes Wort. „Lärmstreß und Akkordarbeit machen die Leute kaputt“, meinte Evcan, der dennoch mit Wisser bei den anstehenden Verhandlungen mit der FAG „an einem Strang ziehen“ will. Die FAG - so die Wunschvorstellung des Betriebsrates - soll die Firma Wisser für weitere fünf Jahre mit der Flugzeugreinigung beauftragen, „denn dann können wir unsere erarbeiteten und erkämpften Rechte behalten“. Schließlich hätten sie in den zurückliegenden Jahren „gut gearbeitet“ und Wisser habe „gut organisiert“.

Der Multikulturdezernent schließlich nimmt vom Besuch bei den FlugzeugreinigerInnen eine „Erkenntnis“ mit in den Römer: „Man muß raus aus dem Ghetto der politischen Zirkel und sich die Lebenswirklichkeit der Menschen hautnah reinziehen.“ Die Verantwortung dafür, daß den AusländerInnen auf dem Flughafen demnächst auch tatsächlich geholfen wird, die will er gerne tragen, weil er aus dem Vertrauen, das sie ihm entgegenbringen, auch Motivation für die Amtsführung schöpfe: „Die haben nicht irgend einen Magistralen, sondern genau mich haben wollen. Die wären auch nie auf die Idee gekommen, ein Mitglied des alten CDU-Magistrats zu holen.“ Mit der S-Bahn fährt der Stadtrat dann in seine Stadt zurück - zu einem Termin mit türkischen Schulkindern. (Zorro strikes again!)