piwik no script img

Barschel doch Opfer eines Mordes?

Genfer Gericht entscheidet: Untersuchung muß wiederaufgenommen werden / Selbstmordthese nicht genügend gesichert / Entscheidende Unklarheiten blieben / Wieder wird die umstrittene Richterin Nardin ermitteln  ■  Aus Genf Andreas Zumach

Die Untersuchungen im Todesfall Barschel werden wieder aufgenommen. Die Genfer Anklagekammer gab am Dienstag überraschend dem Einspruch der Familie des ehemaligen Ministerpräsidenten Schleswig-Holsteins gegen den am 26.September vorgelegten abschließenden Bericht der Genfer Untersuchungsrichterin Claude-Nicole Nardin in mehreren Punkten statt. Die wegen ihrer Untersuchungsführung in den letzten zwei Jahren von verschiedenen Seiten heftig kritisierte Nardin wird auch die neuen Ermittlungen leiten.

Die Anklagekammer unter Staatsanwalt Corboz gab keinen Kommentar zu ihrer Entscheidung, die für die meisten Genfer Beobachter und Kenner der hiesigen Justiz völlig unerwartet kam und als Sensation gewertet wurde. Auch Barschels Bruder Eike und sein Anwalt Barillon machten unter Hinweis auf das noch schwebende Verfahren keine näheren Angaben, erklärten jedoch, „verschiedene wichtige“ ihrer rund ein dutzend Einwände gegen den Untersuchungsbericht seien von der Kammer akzeptiert worden.

In ihrem Untersuchungsergebnis - vorgelegt fast zwei Jahre, nachdem Uwe Barschel am 11.Oktober 1987 tot in der Badewanne eines Genfer Hotelzimmers aufgefunden worden war - hatte Untersuchungsrichterin Nardin Tod durch Medikamentenvergiftung ohne nachweisbare Einwirkung Dritter festgestellt und damit einen Selbstmord sehr nahegelegt. Eike Barschel blieb bei der These von der Ermordung seines Bruders und legte Widerspruch gegen Nardins Bericht ein. Zu den im Bericht ungeklärten oder nach Meinung der Familie Barschel falsch bewerteten Fragen gehören u.a. die nach den offensichtlichen Druckstellen an Uwe Barschels Leiche, nach dem Verbleib einer Rotweinflasche und von Medikamentenschachteln sowie nach der Herkunft von im Hotelzimmer gefundenen Fingerabdrücken und eines abgerissenen Knopfes. Auch die etwaige Rolle des am Wochenende des Barschel-Todes zumindest zeitweise in Genf weilenden Agenten Werner Mauss wollte Familie Barschel genauer untersucht wissen. Eike Barschel erklärte, daß die gestrige Entscheidung die Selbstmordthese als „voreilig“ entlarvt habe. Nun gehe es „nicht um Sieg oder Niederlage“ vor Gericht, sondern darum „so nahe wie möglich an die Wahrheit heranzukommen“.

Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen