: SCHÖNSTES FLEISCH VON ÜBERALL
■ „Dämmer der Idioten“, ein Handarbeitstonfilm in der Filmbühne
Scharfe Schnitte, traurige Helden und tragische Schicksale werden zuhauf geboten, und doch rümpfen die Cineasten die Nase. Denn die tonlosen Helden auf Celluloid (Raymond Ley, Alfred Banze, Helmut Kohl, eine Wurst etc.) werden live von den Helden auf der Bühne (Raymond Ley, Alfred Banze, ein Schlagzeug, Hopfenbrät etc.) in ernsthafter Respektlosigkeit & unter Einsatz unmittelbarer Sinnlichkeit (Stimme, Körper, Musik, Geruch) vertont und kommentiert - ein vorsätzlicher Vernichtungsfeldzug gegen das große Identifikationskino und für die Transzendenz des privaten Urlaubsfilms. Zwischen Off -Theater und Didi Hallervorden verstieg sich ein Nichtfilmemachergremium der hessischen Filmförderung bei der Einschätzung des Elaborats; und manchem existentiell an der Avantgarde arbeitenden Jungfilmer wäre das farbenfreudige Kolorit wohl der momentanen und immer schon sowieso währenden katastrophalen Abgründigkeit der Lebenswirklichkeit des modernen Dosenbiertrinkers nicht angemessen. (Einst wird man erkennen: der Untergang findet nicht unter 3-D-Qualität, und zwar im Privatfernsehen statt!) Solche Spartenunsicherheiten und mancherlei Widrigkeiten (anläßlich einer Fernsehaufzeichnung schoß man übereifrig nicht in die Luft, sondern in die Leinwand) hindern die Kasseler Filmleute nicht, auf ihrer Tournee von Flensburg bis Konstanz zwei Spätabende lang Berlin zu beglücken.
Dämmer der Idioten ist ein neunzigminütiges Ereignis aus Film, Krach, Theater, Lyrik und Kochen und behandelt in achtzehn Szenen Strategien und Rezepte gegen die Verlorenheit des (nicht nur, aber auch männlichen) Menschen in unserer Zeit. Drunter geht es kaum - denn Gott spricht im Prolog aus einem Puppengesicht zu den Menschlein, sich aufzumachen, das Kreuz des Südens zu suchen. Wenn dann in den ersten Szenen zwei Männer bei Ikea Bücherattrappen eröffnen wollen und verzweifelt die Möbeltüren schwenken (Kommentar: „Es war zu einer Zeit, als Männer gefangen schienen und nach einem Ausblick suchten“), funktioniert das tragikomische Grundprinzip des Handarbeitstonfilms wie in allen weiteren Szenen. Das Private wird nicht ins Lächerliche gezogen, Gefühl und Trieb nicht hochmütig ironisiert. Die Komik entsteht vielmehr durch das Zusammenspiel von der Wahrheit des tiefsten Leidens am Alltag und der Banalität seines Ausdrucks.
Und das passiert auf mehreren Ebenen; der Wahl des Sujets, der Kameratechnik, der Inszenierung auf der Bühne. Ein historisches Dokument, der Besuch Helmut Kohls auf Föhr, wird stumm auf Super 8 gedreht und dann auf 16 mm aufgeblasen. Mit Zeitlupen, Schwenken und Standbildern filtern Ley & Banze ein Föhrer Trachtenmädel heraus, das glückselig als Ehrenjungfrau dem Kohl zur Seite steht. Doch der Blick zum Objekt der Begierde bleibt unerwidert - Kohl hat nur Augen für die Kohlin, Hannelore steht dazwischen. Eine klassische Studie über die Steuerung der Hausfrauensehnsucht, das Weltgeschehen durch Sexappeal zu beeinflussen, direkt in die christdemokratische Wahlurne. So wird Politik gemacht. Aber natürlich kein Experimentalfilm. Denn unterhaltsam belehrend („du bist das Schönste an der Wurst, das schönste Fleisch von überall“) und geräuschvoll unterfütternd singen Ley & Banze live ihre persönliche Welterklärung dazu. Oder: Ein Damenschuh erscheint groß auf der Leinwand. Er gehört zu einer Straßencafe-Sitzerin, die mit dem quietschenden hin- und hergequälten Schuh die Aufmerksamkeit der umsitzenden Herren strapaziert. Banze & Ley inszenieren das Leiden am sexuellen Geräusch mittels genüßlichem Schaben an Styropor. Eine Szene weiter wird der heimelige bis unheimliche Geruch des Privaten, (zeitgleich auf der Leinwand ein Melodram aus Schreibmaschine, Kind und Staubsauger) mit dem Gestank von auf der Bühne aufgebratenem Bier ver-sinn-bildlicht.
Mief oder Nestwärme, welche Beziehung die Filmemacher zu ihren Protagonisten, ob Menschen oder Dingen, haben, ist nie so genau zu unterscheiden. Immer aber ist es eine Nähe wie sie nur Fetischisten, Sammler und Flaneure kennen. Deshalb können Alltagsängste (Kastration) mit -bedürfnissen (Wurst mit Senf) ohne weiteres und an allen unmöglichen Stellen in der Schwanz-Wurst-Metapher zusammengedacht werden. Auch andere Alltagsrituale, teils dokumentiert, teils inszeniert, werden aus nächster Nähe betrachtet: Die Staubsauger -Kaufhauswerbung „Philipps Zauberrohr“ (ein Lehrstück für Päderasten), das Wimbledon des kleinen Mannes (zwei jagen eine Fliege), der Kampf Gut gegen Böse (kommentierte Ritterspiele plus aufgespießte Currywurst), ein tatsächlich so stattgefunden habendes Schweinerennen in Vellmar bei Kassel (das wegen akuter Hühnerdrahtverletzungsgefahr abgebrochen werden mußte, worauf der Veranstalter mit der Kasse entkam) und vieles mehr, was unspektakulär jeden Tag passiert oder fast Schlagzeilen gemacht hätte - hätten Banze & Ley den Zugriff auf ARD und ZDF und die entsprechende technische Ausrüstung zur Verfügung. Zum Glück für den Dämmer der Idioten haben sie all das nicht. Denn: „Alle Geschichten hören auf, wenn zwei sich finden und bauen ein Haus.“
Dorothee Hackenberg
„Dämmer der Idioten“ von Alfred Banze und Ramond Ley, nur heute und morgen, 23 Uhr, in der Filmbühne am Steinplatz.
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