: China-Literatur nach dem Peking-Massaker: Hartwig Bögeholz / Harrison Salisbury / Jane's Special Report / Kurt Morawitz / amnesty international
Erwartungsgemäß hat das blutige Massaker auf dem Tiananmen vom zahlreiche Publikationen nach sich gezogen. Hier eine Auswahl:
Hartwig Bögeholz, „Gebt uns Demokratie oder gebt uns den Tod„; rororo aktuell; Reinbeck, Juli 1989, 9,80 Mark. Das Buch ist zweifellos eine Zumutung für den Leser und ein Etikettenschwindel obendrein. Die Unverfrorenheit beginnt bereits beim Inhaltsverzeichnis. Ein Interview mit dem führenden chinesischen Intellektuellen Fang Lizhi ist mit Chinesen haben Knochen überschrieben. Wenn der Herausgeber unbedingt im Bereich der Anatomie bleiben will, hätte er den entsprechenden Begriff bestenfalls mit „Rückgrat“ übersetzen sollen statt mit „Knochen“. Doch damit nicht genug. Dieser publizistische Schnellschuß zeichnet sich nicht nur durch zahlreiche Ungenauigkeiten aus, das Bändchen ist auch nicht informativ. Die Porträts wirken aus chinesischen Fachzeitschriften abgeschrieben und zusammengestoppelt - allerdings hier ohne Fachverstand. Und unter der Bezeichnung „Hintergründe“ und „Folgen“ hat Bögeholz offenbar von der Diskette geschält, was er Wochen zuvor im selben Verlag als Reisebuch China veröffentlicht hatte.
Harrison E. Salisbury, „13 Tage im Juni. Als Augenzeuge auf dem Platz des Himmlischen Friedens. Ein China-Tagebuch“, S. Fischer Verlag, 26,- Mark. Harrison, der von seinem Verlag als einer der „berühmtesten Journalisten überhaupt“ angekündigt wird, reicht auch nicht über Bögeholz hinaus. Sein Bericht ist ein einfallsloser Tagebuchreport, der bestenfalls durch seine Unvollständigkeit auf sich aufmerksam macht. Der Band läßt keine Systematik erkennen. Die Kapitel heißen „Erster Tag“ bis „Dreizehnter Tag“. Warum das so sein muß, erläutert der Verlag: „Durch einen erstaunlichen Zufall befand sich Harrison E.Salisbury... vor und während des Massakers auf dem Platz des Himmlischen Friedens.“
Jane's Special Report, „China in Crisis. The Role of the Military“. (Zu beziehen über: Jane's Information Group Limited, Sentinel House, 163 Brighton Road, Coulsdon, Surrey CR 3 2 NX, Großbritannien), etwa 30,- Mark. Schon wenige Tage nach dem Massaker lieferten die Autoren der Publikation eine genaue Zusammenstellung der Hierarchien in der chinesischen Volksbefreiungsarmee, verbunden mit Analysen über interne Konfliktpotentiale, Waffenstärke und mögliche Zukunftsperspektiven. Ergänzt wird die Veröffentlichung mit Berichten über die Ereignisse in Peking und Kurzbiographien der Führungspersönlichkeiten aus Politik und Armee. Auch als Nachschlagewerk geeignet.
Kurt Morawietz (Hrsg.), „die horen - Zeitschrift für Literatur, Kunst und Kritik: Wilde Lilien, Chinesische Literatur im Umbruch“. Band 3/1989. 19,80 Mark. Es ist wohl das am besten gemachte Lesebuch zu den Ursachen der Revolte des chinesischen Volkes im Frühjahr und der anschließenden grausamen Niederschlagung der Demokratiebewegung. Mitglieder der Elite der bundesdeutschen Sinologie wie Lutz Bieg, Wolfgang Kubin, Helmut Martin, Hans Stumpfeldt sowie chinesische Schriftsteller wie Wang Meng, Kong Jiesheng, Zhang Jie u.a. berichten, analysieren und trauern. Eine Literaturschau aus zehn Jahren Reform in China. Dazu wunderschöne Fotos von Nelly Rau-Häring. Sehr lesenswert.
amnesty international, „Volksrepublik China: Tötung von unbewaffenten Zivilisten, willkürliche Verhaftung und Hinrichtung nach Schnellverfahren seit dem 3. Juni - ein vorläufiger Bericht“. Zu beziehen bei: ai, Postfach 62 01 25, 1000 Berlin 62. Preis etwa 5,- Mark. Sehr lesenswert, die Materie ist allerdings gar nicht erfreulich. Eine Zusammenstellung der Menschenrechtsverletzungen seit dem Juni-Massaker. Auch ein Bericht gegen das Vergessen.
Jürgen Kremb
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