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In Asien lebt vor allem der Asiate

■ Ein Rundumschlag um den asiatischen Kontinent / Oskar Weggels „Die Asiaten“ will einen Überblick über Wirtschaft und Gesellschaft von Pakistan bis Indonesien und von Peking bis Kerala geben / Blick auf Religion und asiatische Produktionsweise

Man stelle sich vor, in Asien erschiene ein Buch: Der Europäer; Gesellschaftsordnungen, Wirtschaftssysteme, Denkformen, Alltagsleben und Verhaltensstile. Betrachtung vom Sizilianer bis zum Samen, vom Iren bis zum Ukrainer. Ein Schmunzeln aus der alten Welt wäre dem Autoren sicher, wenn nicht gar ein Aufschrei losbräche.

Doch in umgekehrter Richtung geht das offenbar. Der Autor Oskar Weggel versucht in seiner Monographie Die Asiaten einen Überblick zu geben über Verhaltensweisen, Religion und Gesellschaftssystem von Pakistan bis Indonesien, von Peking bis Kerala. Und zugegeben, es liest sich noch gar nicht mal so schlecht, zumindest für den unbedarften Laien. Denn der Autor weiß zweifellos sehr genau, wovon er spricht. Weggel ist wissenschaftlicher Referent am Institut für Asienkunde in Hamburg, bekannter Autor mit den Spezialgebieten China und Japan.

Bisherige Erklärungsansätze zur Typologie der Asiaten basierten in der Vergangenheit vor allem auf der Theorie der asiatischen Produktionsweise. Die Bürokratie der Wasserbaugesellschaft habe die Verhaltensweisen der Bewohner in der Region zwischen China, Indien und Indonesien wesentlich geprägt. Für den Chinafachmann Weggel jedoch tritt insbesondere die „Metakonfuzianische Gesellschaft“ in den Vordergrund seiner Betrachtung „des Asiaten“. Dies ist eine gesellschaftliche Formation, in der sich der Einzelne nicht als Individuum im westlichen Sinne versteht, sondern als Bestandteil einer Arbeits-, Dienstleistungs- oder Ausbildungseinheit: „danwei“, wie der chinesische Begriff dafür lautet.

Den ostasiatischen Gesellschaftssystemen Koreas, Japans und Chinas, die bekanntermaßen durch den Konfuzianismus und Legalismus geprägt sind, stellt Oskar Weggel die weniger strukturierten Gesellschaften in Indien und Südostasien gegenüber. Mithilfe ausufernder Materialfülle voller Querverweise und Fußnoten versucht er, soziales Handeln aus Religion und Philophie herzuleiten. Das führt für den Leser leider nicht immer zur versprochenen Erkenntnis.

So lebt das Buch einerseits von seinem Reichtum an Material, andererseits erweist sich dieser wiederum als Schwierigkeit. Wie in der Einführung dargestellt, ist der Autor sich dieses Mangels selbst bewußt. Bei keiner Publikation habe er soviel zusammenstreichen und kürzen müssen, ist da zu lesen. Es hat nicht unbedingt die Lesbarkeit gefördert. Leseprobe: „Fundamentalismus“ - Seit den siebziger Jahren hat die Salafiya (Die Bewegung zur fundamentalistischen „Rückbesinnung“) auch auf Asien Einfluß genommen und firmiert dort (in Malaysia) unter der Bezeichnung „Dakwah“ (wörtl: Rückkehr zum Glauben) usw.

Bei der Detailfülle des Buches wird zwar vieles angeschnitten, doch die Hauptfrage des Buches wird ungenügend gelöst. Was haben nämlich die Burmesen mit den Pakistani, was die Filipinos mit den Chinesen gemein? Außer, daß sie einen gemeinsamen Kontinent bewohnen, offenbar nicht viel. Und deswegen scheint auch Weggels Ansatz, die Charakteristik der Völker dieses Kontinents - immerhin die Hälfte der Menschheit - erklären zu wollen, etwas zu hochgegriffen.

Überzeugender wird das Buch dort, wo es um die Gemeinsamkeiten der Völker Ostasiens geht und Weggel auf den metakonfuzianischen Ansatz zurückgreift. Hier erweist sich das Werk als wichtiger Diskussionbeitrag zu einer Epoche, in der besonders im Hinblick auf Japan, Taiwan, Südkorea und den aufstrebenden Staaten Südostasiens von Ostasien als neuem Zentrum der Weltwirtschaft gesprochen wird. Gerade nach den Ereignissen auf dem Pekinger Tiananmen erscheint die Frage, warum sich die Individuen in Asien weniger Freiheiten sichern konnten, auch in bezug auf eine ökonomische Perspektive bedeutsam.

Bei der Frage nach der Freiheit des Individuums folgt Weggel der christlichen Argumentation vom „freien Willen“, wohlwissend, daß in der christlichen Lehre der Mensch letztlich als Werkzeug Gottes gilt, während bedeutende Ströme des Buddhismus und Konfuzianismus die individuelle Entscheidungsfreiheit in den Vordergrund stellen. Diese Philosophie vom freien Willen ließ aber gerade in Ostasien gesellschaftliche Formationen entstehen, die an die Stelle von „Gottes Wille“ im christlichen Europa dem freien Denken gesellschaftliche Kontrolle gegenüberstellte. Da aber in östlichen Gesellschaften Moralvorstellungen und Ordnungsmaximen der „danweis“, Großgruppen wie die KP, die Familie, die Nachbarschaftskomitees oder in Japan die „kaishas“ (die allesregelnde Firma) das Individuum vollständiger kontrollieren als die westlich moralische Instanz Gott, bleibt dem Einzelnen in Asien weniger Spielraum als in der alten Welt. Das Funktionieren gerade der ostasiatischen Gesellschaften fußt eben nicht auf der individuellen Entscheidungsfreiheit, sondern auf gesellschaftlicher Kontrolle.

Weggels Versuch aber, panasiatische Brücken zu schlagen, ist weitgehend mißlungen. Dennoch ist das Buch als Einführung in asiatische Gesellschaft empfehlenswert. Die zahlreichen Beispiele regen trotz der fast erschlagenden Vielfalt an Informationen zum Weiterlesen an.

Jürgen Kremb

Oskar Weggel: „Die Asiaten;

Gesellschaftsordnungen, Wirtschaftssysteme, Denkformen, Glaubensweisen, Alltagsleben, Verhaltensstile“,

350 S., München 1989,

C.H. Beck Verlag, DM 48.

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