Oberster Mafia-Ankläger versetzt

Anonyme Briefe und eine Schmutzkampagne führten zum Abschuß Guiseppe Ayalas aus dem Mafia-Pool  ■  Aus Rom Werner Raith

„Alles“, sagt Giuseppe Ayala, als ich ihm, verloren auf dem Bahnhof Termini in Rom, über den Weg laufe, „alles hätte ich erwartet: daß sie mich erschießen, in die Luft sprengen alles, aber das nicht.“ „Das“ - das ist die Versetzung wegen „ambientaler Inkompatibilität“, die der Corte Suprema della magistratura (Oberster Richterrat, CSM), das Selbstverwaltungsorgan der italienischen Justiz gegen ihn verfügt hat. Der Chefankläger des ersten Großprozesses von Palermo - abgeschlossen mit zwanzigmal Lebenslänglich und viereinhalbtausend Jahren Gefängnis für mehr als 300 Mafiosi - muß seinen Platz im „Antimafia-Pool“ räumen und wird an einen anderen Ort versetzt.

„Gründe gibt es dafür nicht einen einzigen“, kommentiert der staatliche Rundfunk Rai; doch „Rache muß offenbar sein“ ('La Repubblica‘): Ayala muß weg, weil tags zuvor auch sein Gegenspieler versetzt wurde, der Ermittlungsrichter Alberti Di Pisa.

Di Pisa, ebenfalls Mitglied des „Antimafia-Pools“ (eine Sonderkommission aus 16 Ermittlungsrichtern und Staatanwälten), dem im Gegensatz zu Ayala speziell beim Verdacht von Filz zwischen Mafia und Politik stets der Nachforschungseifer ausging, stand im Juni im Verdacht, eine Reihe anonymer Briefe mit bösen Angriffen gegen den Pool -Leiter Giovanni Falcone und Ayala an diverse Behörden geschrieben zu haben. Die Vorwürfe erwiesen sich als völlig unhaltbar, aber auch Di Pisas Autorenschaft ist bis heute nicht belegt. Nur: als ihn der Oberste Richterrat hörte, erklärte er, die in den Briefen enthaltenen Vorwürfe gegen seine Kollegen voll zu teilen. Beweise für irgendwelche Verfehlungen der anderen im Amt hatte er freilich nicht vorzuweisen.

In seiner öffentlichen Verteidigung konnte er sich in den Augen Aller uneingeschränkt rechtfertigen - nur nicht in den Augen des Richterrates. Der beschloß nach der - wegen seiner unhaltbaren Angriffe voll gerechtfertigten Versetzung Di Pisas - auch die von Ayala; mit dem von einigen CSM -Mitgliedern vorgetragenen merkwürdigen Argument, man müsse beweisen, daß im Justizapparat „niemand unantastbar“ sei.

Umsonst die Appelle der gesamten Belegschaft des palermitanischen Justizpalastes zugunsten Ayalas - wohl der beste Beweis gegen die „ambiente Inkompatibilität“ vergeblich auch die Petitionen zahlreicher Intellektueller und Politiker. Die im CSM einander unversöhnlich gegenüberstehenden Gruppierungen stimmten en bloc ab, nach einer völlig überflüssigen Debatte, weil niemand seine schon vorher festgeklopfte Meinung zu ändern bereit war.