piwik no script img

Thatchers Atomprogramm wird gestoppt

Der neue britische Energieminister John Wakeham verkündet aus rein ökonomischen Erwägungen den Verzicht auf weitere Reaktoren In den nächsten zehn Jahren sollen außerdem acht alte Magnox-Reaktoren stillgelegt werden / Privatisierung ade  ■  Von Ralf Sotscheck

London (taz) ) - Die britische Regierung stolpert von einer Krise in die andere. Jetzt erlitt die Premierministerin mit ihrer Energiepolitik eine Schlappe. Energieminister John Wakeham verkündete vergangene Woche, daß das britische Atomprogramm bis mindestens 1994 eingefroren wird. Von vier geplanten Druckwasser-Reaktoren wird lediglich Sizewell B im Südosten Englands gebaut. Acht Magnox-Reaktoren werden bis Ende des Jahrhunderts außer Betrieb gesetzt. Mit ihrer Stillegung wird innerhalb der nächsten zehn Jahre begonnen.

Hinter der Regierungsentscheidung stehen keineswegs ökologische, sondern finanzielle Erwägungen. Die Banken hatten sich geweigert, das finanzielle Risiko der nicht kalkulierbaren Stillegungskosten zu übernehmen. Sie hatten von der Regierung Garantien gefordert, die das Privatisierungsprogramm der Stromindustrie endgültig zur Farce gemacht hätten. Deshalb wird die Atomindustrie von der für das nächste Jahr geplanten Privatisierung ausgenommen. Wakeham sagte vor dem Unterhaus: „Es wurden beispiellose Garantien verlangt, und ich bin nicht bereit, der Privatindustrie eine derartige Rückversicherung zu geben.“ Der Ausbau-Stopp für die britische Atomindustrie wird zwar von Thatcher mitgetragen, steht jedoch in krassem Widerspruch zu ihrer bisherigen Politik. Noch vor einer Woche hatte sie vor den Vereinten Nationen den Atomstrom als „grüne Alternative zu Kohlekraftwerken“ gepriesen. Mit dem Einfrieren des Atomprogramms gesteht die Regierung nun ein, daß Opposition und Umweltschützer seit Jahren Recht hatten: Die Labour-Party hatte ständig darauf hingewiesen, daß die Kosten für die Stillegung der verschlissenen Atomkraftwerke weit über dem Wert der gesamten Stromindustrie liegen würden. Die Privatisierung des Atomstroms sei daher selbst zum Schleuderpreis völlig aussichtslos.

Es ist fraglich, ob das Einfrieren des Atomprogramms der angeschlagenen britischen Kohle-Industrie wieder auf die Beine helfen wird. Seit dem Bergarbeiterstreik vor fünf Jahren sind Arthur Scargill und seine Gewerkschaft NUM Thatchers Intimfeinde. Mit Hilfe des stark subventionierten Atomstroms sollte ihre Macht gebrochen werden. Dieses Ziel hat Thatcher zweifellos erreicht: Seit 1985 ist die Zahl der Bergwerke und der Arbeitskräfte halbiert worden. Dennoch ist die Kohleförderung nahezu gleichgeblieben. Die Stromanbieter wollen nach der Privatisierung jedoch zehn Millionen Tonnen Kohle pro Jahr importieren. Dadurch könnten über 1,5 Milliarden Mark eingespart werden - auf Kosten von 10.000 Bergarbeiterjobs.

Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen